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Maddalena Laura Sirmen, Primadonna der Dresdner Hofoper, berühmte Geigerin und Komponistin aus Venedig (anonymes Porträt).

Advent in Dresden 14.12.1776

Am 14.12.1776 brillierte die neue Primadonna der Dresdner Hofoper in einer Buffa von Salieri und freute sich auf Weihnachten: die venezianische Sopranistin, Geigerin und Komponistin Laura Sirmen.

Laura Sirmen, eine Venezianerin an der Elbe

von Karl Böhmer

Taxifahrer im modernen Dresden machen ihren höchsten Jahresumsatz im Dezember: Dresdner Christstollen, Dresdner Striezelmarkt und die prachtvolle Kulisse im Elbflorenz locken die Touristen zu Tausenden in die Stadt. Anno 1776, als das Italienische Dörfchen unweit der Hofkirche noch ein solches war und der Striezelmarkt immerhin schon seine 342. Auflage erlebte, lernte eine junge Venezianerin die Adventsgenüsse Dresdens kennen: Laura Sirmen. Sie war nicht nur die neue Primadonna der Dresdner Hofoper, sondern zugleich die berühmteste Geigerin Europas und eine geschätzte Komponistin von Violinkonzerten und Streichquartetten. In dieser Dreifachbegabung stand sie unter den Musikern und Musikerinnen ihrer Zeit einzig dar, wobei sie den ganzen Zauber ihrer Singstimme erst in Dresden entfaltete. Für sieben Jahre, von Ende 1776 bis zum Frühjahr 1783, gehörte sie zum dortigen Ensemble und lernte das „Elbflorenz“ in einer Spätblüte des Rokoko kennen – gerade auch an Weihnachten.

Advent 1776 in Dresden

„Sonnabend, den 14. Dec: Abends 6. Uhr begaben sich beyde Churfürstl. Durchlauchten in die Opera: la Calamità de' Cuori.“ So vermerkte der Hoffourier Schubert Mitte Dezember 1776 in seinem täglichen Journal vom Dresdner Hof. Mit keiner Silbe erwähnte er, dass die Rolle der Albina in Salieris Oper von der neuen Primadonna am kleinen Kurfürstlichen Theater gesungen wurde: von der Venezianerin Laura Sirmen. Wer sie nur als Europas berühmteste Geigerin dem Namen nach kannte, dürfte von ihrer Bühnenerscheinung ziemlich überrascht gewesen sein: „Sie hat einen großen Vorteil: Obwohl sie nicht mehr die Allerjüngste ist, ist sie ausgesprochen hübsch und spielt ebenso gut die Kokette wie die Violine", so schrieb die bayerische Kurfürstin Maria Anna über Sirmens Debüt in München im Oktober 1773. Am Münchner Hof debütierte sie wie drei Jahre später in Dresden in ihrer Paraderolle: als Cecchina in La buona figliuola von Piccinni. Das arme, von aller Welt verachtete Waisenmädel war wie geschaffen für die Sirmen mit ihrem süßen Gesang und ihrer nicht großen, aber rührenden Stimme. Am 27.11.1776 zog sie das Dresdner Publikum zum ersten Mal mit dieser Rolle in ihren Bann. In unseren Hörbeispielen kann man diesen Zauber an der Auftrittsarie „Una povera ragazza“ besonders schön ablesen, während Salieris Ouvertüre zu La calamità de' cuori etwas vom Glanz der damaligen Dresdner Hofoper vermittelt. Beide Stücke bescherten Laura Sirmen im Advent 1776 einen spektakulären Einstand in Dresden.

Geigerin in Venedig und Paris

Auch sie selbst war ein Adventskind: Sie wurde als Maddalena Laura Lombardini am 9. Dezember 1745 in Venedig geboren und am Ospedale dei Mendicanti ausgebildet – einem der vier berühmten Findlingshäuser Venedigs mit Musikkonservatorien für junge Frauen. Wer dort ihr erster Geigenlehrer war, ist unbekannt, später aber wurde sie zur Lieblingsschülerin des berühmten Giuseppe Tartini in Padua, der ihr einen langen Brief über die Grundlagen des Geigenspiels geschrieben hat. „Sie brachte es auf diesem Instrument in der edlen und großen Ausführung des Adagio so weit, daß sie dem Nardini, Tartinis bestem Schüler, an die Seite gesetzt wurde“, so rühmte später Ernst Ludwig Gerber im Lexikon der Tonkünstler. „Diese Virtuosin übertrifft Kramer und viele andere durch die Delikatesse und den vollendeten Geschmack, mit dem sie die Violine traktiert; überdies ist sie auch noch sehr hübsch." So schrieb der bayerische Kurfürst Max III. Joseph 1773 an seine Schwester in Dresden.

Die sächsische Hauptstadt spielte schon 1766 eine zentrale Rolle, als es darum ging, die junge Laura Maddalena aus den allzu engen Mauern des Ospedale zu befreien. Damals plante ihr Lehrer Tartini zusammen mit dem Dresdner Kirchen-Compositeur Johann Gottlieb Naumann eine arrangierte Heirat mit einem Tenor aus Cremona und ein Engagement in Dresden, was aber im Sande verlief. 1767 heiratete sie stattdessen den Geiger Lodovico Sirmen aus Ravenna, mit dem gemeinsam sie einen Band von Streichquartetten verfasste und nach Paris reiste. Ihr Debüt als Geigerin im Concert spirituel an Mariä Himmelfahrt 1768 war eine Sensation: 

„Bei den Musikliebhabern erregte eine Geigerin besonderes Aufsehen: Madame Sirmen, eine hübsche, junge Frau aus Venedig. Gemeinsam mit ihrem Ehemann spielte sie ein Konzert von ihrer eigenen Komposition. [...] Sie erntete starken Applaus. Wir fanden Wahrheit, Reinheit und Annehmlichkeit in ihrem Spiel. Dem Adagio verlieh sie eine Sensibilität, wie sie ihrem Geschlecht eigen ist. Dennoch spielte sie die Geige in einem solchen Grad von Perfektion, dass sie den großen Meistern gleich kommt – wenn sie sie nicht gar übertrifft!“

Opernsängerin in London und Italien

Ihre zweite Karriere als Opernsängerin begann die gefeierte Geigerin 1772 in London unter dem Namen Laura Sirmen. Es war der große Antonio Sacchini, der sie in seiner Oper Il Cid an die Seite der Londoner Opernstars stellte und zum Debüt als Seconda donna ermutigte. Nachhaltiger Erfolg war ihr damit an der Themse nicht beschieden, denn die Musikkenner auf der Insel blieben skeptisch. Charles Burney schrieb einigermaßen gehässig:  

„Madame Sirmen, eine Schülerin von Tartini, die zu Recht für ihr glänzendes und expressives Violinspiel bewundert wird, trat in der Rolle der zweiten Sängerin auf. Da sie jedoch so lange die erste Geige auf ihrem Instrument gespielt hat, degradiert sie sich selbst, indem sie nun eine zweite Rolle annimmt, in der sie niemals zum ersten Rang aufsteigen wird – obwohl es ihr nicht an Stimme und Geschmack mangelt.“

Ganz anders in Italien: Laura Sirmen wurde als Primadonna mit offenen Armen und Ohren empfangen. Im Sommer 1775 trat sie in Siena zusammen mit Domenico Bedini auf, dem späteren Sesto in Mozarts La clemenza di Tito. Im Frühjahr 1776 sang sie in Pisa neben dem bayerischen Tenor Valentin Adamberger, später Mozarts erster Belmonte in der Entführung aus dem Serail. Sirmen konnte sich mit ihren besten männlichen Kollegen messen. Die Gazzetta Toscana rühmte sie in Livorno für ihre „profunde musikalische Kenntnis“, die Gazzetta Universale in Pisa für „ihre außerordentlich gute Manier des Gesangs“. Das höchste Lob aber zollte ihr die Presse 1775 nach einem Konzert in Siena, in dem sie nacheinander in Opernarien und Violinkonzerten glänzte:

„Siena 19. August. Die berühmte Signora Laura Sirmen, die mit allgemeinem Beifall die Partien der Primadonna im Ezio und im Antigono ausführt – den Opern, die im Teatro Grande der edlen Accademia degli Intronati aufgeführt werden –, gab gestern Abend im besagten Theater eine Akademie für Gesang und Instrumentalmusik. Sie sang zwei Arien von berühmten Meistern, in denen sie die Süße ihrer Stimme und ihr überragendes Können zur Geltung brachte, kombiniert mit jenem Ausdruck, der allein die Seele der Zuhörer rühren kann. Anschließend spielte sie zwei von ihr selbst geschriebene Violinkonzerte. Dabei war ihr Klang so delikat und ihre Meisterschaft, die schwierigste Musik mit der höchsten Eleganz auszuführen, so groß, dass sie nicht nur die Kenner überraschte und berührte, sondern die gesamte Zuhörerschaft. Die Sage hat uns mit Orpheus geprahlt, doch Signora Sirmen hat uns bewiesen, wie sehr eine süße Harmonie im wirklichen Leben auf das menschliche Herz wirken kann.“ (Gazzetta Toscana N. 34 1775)

Weihnachten in Dresden

Als Laura Sirmen 1776 in Dresden ihr erstes Weihnachtsfest verbrachte, traf sie Naumann wieder, der sie schon zehn Jahre zuvor nach Sachsen hatte holen wollen. Im Februar zuvor zum Hofkapellmeister ernannt, war er wahrscheinlich für ihr Engagement mitverantwortlich. Seine prachtvolle Kirchenmusik füllte über die Feiertage den hohen Raum der katholischen Hofkirche. Sie selbst wird sich vielleicht an einer rührenden Antiphon von Hasse versucht haben wie dem „Alma redemptoris mater“. So weit die Venezianerin auch von der Lagunenstadt entfernt war: An den Ufern der Elbe umfingen sie vertraute Klänge von italienischer Brillanz und Schönheit – von der atemberaubenden Kulisse des spätbarocken Dresden mit seiner italienisch anmutenden Baukunst ganz zu schweigen.

Was ihre Opernauftritte anbelangte, blieb sie der Opera buffa weitgehend treu, obwohl sie später in zwei Opern von Naumann sogar Seria-Partien übernahm. Ihre Spezialität blieben aber die rührenden Rollen, die „parti serie“ in den Buffa-Opern von Komponisten wie Piccinni, Paisiello, Traetta, Borghi oder Anfossi. Dafür bezog sie 1700 Taler jährlich, die bei weitem höchste Gage aller Hofsänger. Selbst Friedrich dem Großen gelang es nicht, die Sirmen für seine Hofoper abzuwerben. Ihren größten Erfolg feierte sie 1780 bei der Wiedereröffnung des Theaters nach dem Bayerischen Erbfolgekrieg in Cimarosas römischem Intermezzo L'italiana in Londra. Wer damals die Sirmen in der Cavatina der sträflich verlassenen Italienerin in London zu sehen und zu hören bekam und davon nicht zu Tränen gerührt war, der verstand nichts vom italienischen Stil in seiner reinsten Form.

Zum Hören:

Laura Maddalena Sirmen: Violinkonzert E-Dur, Piroska Vitárius, Violine, Savaria Baroque Orchestra, Pál Németh

https://www.youtube.com/watch?v=hF5wJICHhI4

Salieri, La calamità de’ cuori, Sinfonia (Non troppo allegro – Adagio – Allegro), Mannheimer Mozartorchester, Thomas Frey

https://www.youtube.com/watch?v=dlh7ZqhOX_k

Piccinni, La buona figliuola, Arie der Cecchina “Una povera ragazza, Padre e Madre, che non ha”, Margherita Rinaldi, Orchestra del Teatro dell’Opera di Roma, Gianluigi Gelmetti

https://www.youtube.com/watch?v=ALLSAakcBcM&list=PLVC9Hg6ClBog6AG0XEKhDOXq8guzRrcCp&index=16

Cimarosa, L’Italiana in Londra, “Straniera, abbandonata”, Cavatina der Livia, Laura Valdarnini, Fête galante Barockorchester, Simone Perugini

https://www.youtube.com/watch?v=Y_voAuXCqDU&list=OLAK5uy_ngBq19GB885d64JrRlmgTj_FC2Ff9oyIs&index=4