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Das Köthener Schloss im Schnee.

Advent in Köthen 15.12.1725

Am 15.12.1725 wurden Bach und seine Frau Anna Magdalena in Köthen für fürstliche Hofmusiken fürstlich entlohnt. In Leipzig warteten die Thomaner schon auf die Proben für Weihnachten.

Ehepaar Bach im Adventsurlaub

von Karl Böhmer

Zehn Tage vor Weihnachten 1725 nahmen Johann Sebastian Bach und seine Ehefrau Anna Magdalena am Fürstenhof zu Köthen ein stattliches Honorar entgegen: „Dem Leipziger Cantori Bachen und seiner Ehefrau, so sich allhier etzliche Male hören lassen, 30 Taler.“ So steht in den Kammerrechnungen des Hofes unter dem Datum des 15. Dezembers zu lesen. Wieder einmal hatte Bach seinem früheren Dienstherrn, dem Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen, mit einer Serenata zum „Geburtstags-Festin“ am 10. Dezember aufgewartet – mitten im Advent. Schon elf Tage zuvor hatte Anna Magdalena Bach, die frühere Köthener Hofsängerin, zusammen mit einem aus Gotha angereisten „Vocal-Bassisten“ in einer Cantata ihres Gatten geglänzt, pünktlich zum Geburtstag der neuen Fürstin Charlotte. Im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin, der früh verstorbenen ersten Ehefrau des jungen Fürsten, war Charlotte Friederike von Nassau-Siegen keine „Amusa“, im Gegenteil: Sie verstand so viel von Musik, dass sie nach dem viel zu frühen Tod ihres Gemahls 1728 sofort dessen wertvolle Instrumentensammlung in Beschlag nehmen ließ. Charlotte wusste die Instrumente ihres Gatten zu schätzen – die teuren Jacobus-Stainer-Violinen und die Leipziger Celli von Hoffmann. Auch in Bachs Adventsmusiken anno 1725 kamen diese Instrumente wunderbar zur Geltung.

Warten aufs Christkind

Bachs Adventsurlaub wäre weniger ungewöhnlich gewesen, wenn zuhause in Leipzig nicht schon die Vorbereitungen der anstrengenden Weihnachtstage auf ihn gewartet hätten. Sechs neue Kantaten hatte er vom 25. Dezember bis zum 6. Januar aus der Taufe zu heben, zu proben und zu dirigieren. Dennoch weilte er mit seiner Frau seelenruhig für volle zwei Wochen an der alten Wirkungsstätte in Anhalt und genoss das Musizieren mit seinen früheren Kollegen, den Cammermusici des Fürsten. Während die Thomaner in Leipzig schon warteten – darunter Bachs Söhne aus erster Ehe, Friedemann, Carl und Bernhard, damals 15, 11 und 10 Jahre alt –, ließ sich das Ehepaar Bach das höfische Leben in Köthen gefallen. Man darf davon ausgehen, dass der frühere Hofkapellmeister und seine wegen ihrer Sopranstimme bei Hofe so überaus geschätzte Gemahlin mit dem Fürsten und seiner neuen Gattin auf vertrautem Fuß standen. Nicht umsonst haben sich die Bachs „etliche Male hören lassen“ – im Festsaal des ständig prachtvoller werdenden Schlosses, im Saal der neu erbauten Orangerie oder auch im Schlosstheater, das in die alte Orangerie eingebaut war. Vielleicht sind dabei ja schon Kostproben aus den neuen Weihnachtskantaten zu Gehör gebracht worden – mit weltlichen Umdichtungen der Texte zu Ehren des Köthener Fürstenpaares.

Ein anderes Weihnachtsoratorium

Der Grund, warum Bach seinen Adventsurlaub in Köthen 1725 so ungetrübt genießen konnte, war ein ganz einfacher: Anders als in den ersten beiden Leipziger Jahren hatte er im Sommer keinen neuen Kantatenjahrgang begonnen. So konnte er schon im November alle Weihnachtskantaten in Ruhe vorbereiten, wofür er sich eine ganz besondere Textvorlage herausgesucht hatte. Seit langem gehörte ein kleiner, 1711 in Darmstadt gedruckter Band zu seiner Sammlung theologischer Schriften:

Gottgefälliges
Kirchen-
Opffer /
In einem gantzen
Jahr-Gange
Andächtiger Betrachtungen /
über
die gewöhnlichen
Sonn- und Festtags-Texte /
Gott zu Ehren / und der Darmstät-
tischen Schloß-Capelle / zu seiner Früh-
und Mittags-Erbauung
angezündet
von
M. Georg Christian Lehms /
Hochfürstl. Hessen-Darmstättischen
Bibliothecario.

Diese Kantatendichtungen des Darmstädter Hofpoeten Georg Christian Lehms schätzte Bach schon in seiner Weimarer Zeit. Zu Weihnachten 1725 nahm er sich nun vor, einen ganzen Lehms-Zyklus zu schreiben, den er lediglich am Sonntag nach Weihnachten um einen Text von Erdmann Neumeister ergänzte. Dass er diesen Plan mit deutlich mehr Ruhe in die Tat umsetzen konnte als seine beiden ersten Weihnachtszyklen für Leipzig, offenbart schon das Schriftbild der fünf erhaltenen Originalpartituren. (Die Kantate zu Epiphanias ist leider verloren.) Außerdem griff er für den ein oder anderen Satz auf frühere Werke zurück.

Unser Mund sei voll Lachens, BWV 110

Gleich für den Eingangschor der ersten Kantate BWV 110 benutzte Bach die Ouvertüre zu seiner vierten Orchestersuite BWV 1069, die er ursprünglich in Köthen für drei Oboen, Fagott und Streicher komponiert hatte. Im Orchester fügte er zwei Traversflöten, drei Trompeten und Pauke hinzu, was schon der langsamen Einleitung ein Maximum an Feierlichkeit verleiht. Noch erstaunlicher ist, wie er zur Allegro-Fuge des Mittelteils einen vierstimmigen Chor hinzu komponierte, der permanent die Schriftworte singt: „Unser Mund sei voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens“. Dort wo in der Orchesterouvertüre die Oboen bzw. Streicher alleine bleiben, treten die vier Solisten hervor und geben die Begründung für so viel Weihnachtsfreude: „Denn der Herr hat Großes an uns getan.“ Nicht erst 1734 bei der Uraufführung von „Jauchzet, frohlocket“, sondern schon neun Jahre früher verbreitete sich in der Leipziger Thomaskirche der volle Festglanz von Weihnachten. Zur Einstimmung hat Bach in Köthen vielleicht noch einmal seine vierte Orchestersuite in der Urfassung ohne Trompeten aufgeführt.

Durch das große Tor des Eingangschors betritt man in der Kantate BWV 110 eine „Enfilade“ von Arien, die Klangbilder des Weihnachtsoratoriums vorwegzunehmen scheinen. Schon hier gibt es eine eilige Tenorarie mit Traversflöte, in diesem Fall sogar mit zwei Flöten. In schnellen Läufen schwingen sie sich so freudig „himmelan“ wie die „Gedanken und Sinnen“ der Gläubigen, doch auch hier hat Bach – wie in „Frohe Hirten, eilt, ach eilet“ – eine Molltonart gewählt (h-Moll). Nach einem zweiten Schriftwort des Basses schildert der Alt im Dialog mit der Oboe d’amore die ärmliche Geburt des Jesuskindes: „Ach, Herr, was ist ein Menschenkind, daß du sein Heil so schmerzlich suchest?“ Erst danach weichen die schmerzlichen Molltöne freudigem Dur und dem Tanzrhythmus einer Giga. Sopran und Tenor stimmen den Lobgesang der Engel über den Feldern von Bethlehem an: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Hier singen zwei Engel ein Duett aus jubelnden Koloraturen, das dem berühmten „Ehre“-Chor aus dem Weihnachtsoratorium an Eingängigkeit nicht nachsteht. Die folgende Bassarie mit Trompete wirkt wie ein unmittelbarer Vorläufer von „Großer Herr, o starker König“. Eingebettet in ein Trompetenkonzert alla Vivaldi ermuntert der Solobass die Gläubigen, es den Engeln gleichzutun: „Wacht auf, ihr Adern und ihr Glieder, und singt dergleichen Freudenlieder, die unserm Gott gefällig sein.“ Das tun die Gläubigen voller Inbrunst im Schlusschoral.

Süßer Trost, mein Jesus kömmt, BWV 151

So wie Bach im Eingangschor der Kantate „Unser Mund sei voll Lachens“ das „Jauchzet, frohlocket“ des Weihnachtsoratoriums quasi schon vorweggenommen hat, so hat er auch im Genre der weihnachtlichen Hirtenmusik bereits 1725 ein besonderes Juwel geschaffen: die erste Arie der Kantate BWV 151. Neben „Schlafe, mein Liebster“ handelt es sich um die schönste, sicher aber um die süßeste Weihnachtspastorale, die er jemals komponiert hat: „Süßer Trost. mein Jesus kömmt, Jesus wird anjetzt geboren.“ Während die Streicher und eine Oboe d’amore die Bordunklänge von Dudelsack und Schalmei nachahmen, erhebt sich darüber das Solo einer barocken Traversflöte, die durch ihren warmen, hölzernen Klang so sehr einer Hirtenflöte ähnelt. Ihre Fiorituren schweben hoch und leicht über den tiefen Streichern und umspielen beim Einsatz des Soprans dessen lange gehaltene Töne. Über dem ruhig absteigenden Bass entstehen die schönsten Harmonien, während der Sopran von der Geburt des Kindes ganz durchdrungen scheint. Auf diese innige Krippenmusik antwortet in der Mitte der Arie eine vor Freude geradezu überbordende Gavotte, die in wirbelnden Triolen des Soprans und der Flöte gipfelt: „Herz und Seele freuet sich, denn mein liebster Gott hat mich, nun zum Himmel auserkoren.“ Schöner hätte Bach die zwei Gesichter von Weihnachten nicht in Musik übersetzen können: das innige Verweilen vor der Krippe und das freudige Verkünden der Weihnachtsbotschaft.

Zum Hören und Schauen:

Weihnachtskantate „Unser Mund sei voll Lachens“, BWV 110, Maria Keohane, Alex Potter, Charles Daniels, Matthias Winckhler, Netherlands Bach Society, Jos van Veldhoven
https://www.youtube.com/watch?v=s6z7I9j3A74

Arie „Süßer Trost, mein Jesus kömmt“, BWV 151, Maria Keohane, Sopran, Katy Bircher, Traversflöte, Concerto Copenhagen, Lars Ulrik Mortensen
https://www.youtube.com/watch?v=oUy10EMxEO0