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Die junge Henriëtte Bosmans im Jahre 1917, zwei Jahre vor der Komposition der Cellosonate (Foto: Jacob Merkelbach).

Komponistin der Woche: Hilda Bosmans

Wohl kaum eine andere Komponistin der frühen Moderne hat so viele bedeutende Werke für Cello geschrieben wie die Niederländerin Henriëtte Bosmans. Besonders eindrucksvoll ist das in der großen Cellosonate aus dem Jahre 1919 zu spüren.

Henriëtte Bosmans und das Cello

von Karl Böhmer

Die niederländische Komponistin Hilda Bosmans zählt zu den großen Namen in der Musikgeschichte ihres Landes, und sie liebte das Cello. Davon zeugen Ihre beiden Cellokonzerte, ihr Poème für Cello und Orchester und die Cellosonate. Auch in ihrem Klaviertrio und ihrem einzigen Streichquartett hat sie das Instrument ihres Vaters besonders prominent behandelt. Diese Werkserie begann 1919 mit der Cellosonate, die sie dem Belgier Marix Loevensohn widmete. Seit 1915 wirkte er als Solocellist im Concertgebouw Orchester Amsterdam und war damit der Nachnachfolger von Henriettes Vater.

Nikolauskind: Hilda Bosmans in Amsterdam 

Am Nikolaustag 1895 freute sich Henri Bosmans, der damalige Solocellist des Concertgebouw Orchesters, mit seiner Frau Sara Benedicts über die Geburt des Töchterchens Hilda (Henriëtte). Doch schon ein halbes Jahr später starb der Vater, und die Mutter musste sich fortan alleine um die Erziehung des Mädchens kümmern. Da Sara Benedicts als Klavierprofessorin am Amsterdamer Konservatorium lehrte, erzog sie ihre Tochter zur brillanten Pianistin. Die Erinnerung an das Cellospiel des Vaters, das sie bewusst nicht mehr erleben durfte, wurde freilich lebenslang zur inneren Stimme der Tochter. 

Als sie mitten im Ersten Weltkrieg Marix Loevensohn im Concertgebouw hörte, rief er diese innere Stimme wach und gab den Auftakt zur Serie ihrer Cellowerke. Mittlerweile hatte sich die junge Pianistin zur Komponistin entwickelt. In Loevensohn traf sie einen kongenialen Cellisten: Schon mit Mitte 20 hatte er als Professor am Stern’schen Konservatorium in Berlin gelehrt, bis der Erste Weltkrieg ausbrach. Er wurde eingezogen, um seine belgische Heimat gegen die Deutschen zu verteidigen, doch kauften ihn die Niederlande frei, um ihn als Solocellisten für das berühmteste Orchester des Landes zu gewinnen. 1915 kam der 35-Jährige nach Amsterdam, wo er bald Hilda Bosmans kennenlernte. Außer der Cellosonate von 1919 widmete sie ihm auch ihr Poème für Cello und Orchester.

Kampf gegen Vorurteile und Nazi-Diktatur

Dass sich Hilda Bosmans ihre Liebe zum Cello lebenslang bewahrte, hatte auch späterhin private Gründe: Von 1920 bis 1927 lebte sie mit der Cellistin Frieda Belinfante zusammen, die 1923 ihr zweites Cellokonzert zur Uraufführung brachte. Als prominente Streiterin für lesbische Gleichberechtigung wurde Belinfante ebenso berühmt wie als Widerstandskämpferin gegen die Nazis. Bosmans selbst verbrachte die Jahre der Nazi-Okkupation in ständiger Sorge um ihre jüdische Mutter, die sie vor der Deportation ins KZ in letzter Minute bewahren konnte. Sie selbst hatte Auftrittsverbot und konnte vom Konzertieren als Pianistin nicht mehr leben. Von den vielen Liedern, die sie in dieser Zeit komponiert hat, wurde eines zur Befreiungshymne. Nach dem Krieg blieben ihr nicht mehr viele Jahre für schöpferische Tätigkeit: Schon 1952 ist Henriëtte Bosmans im Alter von nur 56 Jahren gestorben.

Außerhalb ihres Heimatlandes wird sie von der Männerwelt der Musik bis heute kaum beachtet – wie so viele ihrer Kolleginnen. Erst in letzter Zeit weisen junge Cellistinnen wieder mit Nachdruck auf die packenden Werke der Niederländerin hin. Dazu gehört auch die Villa Musica-Stipendiatin Marilies Guschlbauer aus Österreich. Am 10. März spielt sie in Schloss Engers die geniale Cellosonate der jungen Hilda Bosmans im Rahmen eines Programms, das sie mit ihrer Duopartnerin Julia Rinderle am Klavier ganz der Cellomusik von Komponistinnen widmet.

Cellosonate (1919)

Die Cellosonate von 1919 war das zweite bedeutende Werk der erst 23-jährigen Komponistin nach ihren sechs frühen Klavierpräludien. Sie beginnt so massiv wie kaum ein anderes Werk des Genres: Wuchtige Klavierakkorde grundieren ein a-Moll-Thema des Cellos, das sich in majestätischen punktierten Rhythmen in die Höhe schwingt. Dieser Beginn wirkt wie eine langsame Einleitung, ist aber schon das erste Thema eines Sonatensatzes im Allegro maestoso. Wenn das Klavier die punktierten Rhythmen übernimmt, geht das Cello zu Doppelgriffen über, später zu Trillern. Auf dem Höhepunkt des Maestoso kommt es plötzlich zum Umschlag in eine ganz andere Klangwelt: Più mosso setzt ein sanft singendes F-Dur-Thema des Cellos ein, aus lauter absteigenden Sekunden zusammengesetzt, eine Art gedämpfte Klage. Auch im „duftigen“ Klavierklang ergibt sich ein Totalgegensatz zum Hauptthema. Ohne Überleitungen oder Schlussgruppe wird die Vorstellung der beiden Themen wiederholt und danach ihre Gegensätzlichkeit in der Durchführung noch gesteigert. Nach lyrischem Beginn setzt im Klavier das Maestoso-Thema wieder ein, woraus ein leidenschaftliches Rezitativ des Cellos hervorgeht. Im Appassionato-Dialog mit dem Klavier scheint die Cellostimme immer erregter zu werden und streut dabei auch Motive aus dem Seitenthema ein. Wie am Ende dieser Steigerung aus Fragmenten des Hauptthema allmählich wieder ersteht, ist schlicht meisterlich. Die Reprise wandelt wie in einem einzigen großen Bogen auf den Pfaden der Exposition, wobei sich an das nurmehr angedeutete Seitenthema eine klanglich hoch originelle Coda anschließt. Über einem tiefen Oktaventremolo der linken Hand sinkt die Musik quasi ermattet in die Tiefe und schließt leise in A-Dur.

Un poco allegretto steht über dem zweiten Satz, einer Valse triste in fis-Moll mit melancholischer Cellomelodie in schönster Lage, getragen von gebrochenen Klavierakkorden. Als Filmmusik könnte diese Bosmans-Melodie jedem nostalgischen Kinodrama als anrührende Grundierung dienen. Als Trio fungiert ein Molto tranquillo des Klaviers, das über tiefen Cellowechselnoten zwischen C-Dur und h-Moll changiert. Die Reprise des traurigen Walzers beschließt den schönen Satz, der die Stelle des Scherzos vertritt.

Im Adagio bleiben die Tonart E-Dur und der Dreivierteltakt lange im Vagen. Über Sekundreibungen des Klaviers setzt das Cello mit dem Tritonus cis-g ein, später c-fis. Die langen Cellotöne und eine raffiniert eingestreute Klavierarabeske verunklaren das Metrum, und selbst der Einsatz des eigentlichen Themas im Cello bleibt harmonisch unbestimmt. Erst in Takt 15 wendet sich die Tonart nach G-Dur, und das Thema gewinnt endlich Kontur, vom Cello in der hohen Lage molto cantando vorgetragen, „überaus singend“. Diese hinreißend schöne Melodie würde alleine ausreichen, um Henriëtte Bosmans unsterblich zu machen - vorausgesetzt man hat überhaupt die Gelegenheit, ihre Cellosonate zu hören. Nachdem sich das Thema nach B-Dur gewendet hat, kehrt die Enleitung des Satzes wieder, nun aber deutlich kongturiert vom Dreiertakt. Der zweite Durchlauf der schönen Melodie setzt in As-Dur ein, wieder in der hohen Cellolage, dann aber allmählich absteigend in eine diffuse, stagnierende Tiefe, in der die Musik auf einer Fermate zum Stillstand kommt.

Attacca setzt das Finale ein: ein Allegro molto e con fuoco im 5/4-Takt! Über dem repetierten tiefen E der linken Hand spielt das Cello ein burschikoses Tanzthema, das aus den Tritonus-Sprüngen vom Beginn des Adagios abgeleitet ist, aber spielerisch leicht, nicht motivisch streng. Nach 13 Takten Einleitung verwandelt sich dieses Thema in einen rustikalen Volkstanz im 5/4 über akkordischer Klavierbegleitung. Die Wiederholung dieses Tanzthemas im Klavier wird vom Cello mit vollen Pizzicato-Akkorden begleitet. Im Seitenthema macht dieser robuste Tanzcharakter einem lyrisch versonnenen Dialog Platz. Dabei zuckt immer wieder eine nervöse Triolenfigur im Klavier auf. Dass Henriette Bosmans eine brillante und überaus originelle Pianistin war, wird spätestens im Schlagabtausch dieses Finales deutlich. In dessen Mitte klingt das klagende Sekundenthema aus dem Kopfsatz noch einmal kurz an. Folgerichtig mündet das immer hektischer werdende Finale in die Reprise des wuchtigen Maestoso-Themas aus dem ersten Satz. Es wird ganz zum Schluss bis zu größtem Pathos gesteigert. Die Sonate schließt Largamente in hymnischem A-Dur.

Zum Hören:

Henriëtte Bosmans: Cellosonate (1919) mit Doris Hochscheid (Cello) und Frans van Ruth (Klavier)
https://www.youtube.com/watch?v=9DIC7KXa3jk