Musik in der Synagoge
Rund um den 9. November spielte der israelische Geiger Roi Shiloah mit jungen Streichern in drei Synagogen Mendelssohns B-Dur-Quintett und Musik der Nazi-Opfer Gideon Klein und Hans Krása.
Jüdische Klagegesänge und mitreißende Rhythmen
von Karl Böhmer
Es war ein Programm, wie man es sich bewegender zum 9. November kaum vorstellen könnte: Rund um den Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 erinnerten der israelische Geiger Roi Shiloah, drei Stipendiatinnen und ein Stipendiat der Villa Musica an die tschechisch-jüdischen Komponisten Gideon Klein und Hans Krása, die ihre Streichtrios im Lager Theresienstadt als Hoffnungsschimmer für ihre Mitgefangenen komponierten, bevor sie im Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und ermordet wurden. Der polnische Komponist Mieczyslaw Weinberg, der Freund von Schostakowitsch und Komponist der vielgespielten Oper Die Passagierin, überlebte den Holocaust, sang in seinem Streichtrio jedoch ein Klagelied auf seinen unter Stalin ermordeten jüdischen Schwiegervater. Mendelssohns furioses B-Dur-Quintett kündete zum Schluss von der Hoffnung auf eine glückliche Zukunft – und stimmte im tieftraurigen d-Moll-Adagio doch auch einen Trauerkondukt an. Gerade im Mendelssohn-Quintett zeigte Roi Shiloah seine kluge Gestaltungskraft: nie vordergründig, stets aus der Melodie entwickelt, mit dem besonderen Sinn für die anrührenden Harmonien Mendelssohns, für seine langen Steigerungen, für die schmelzenden Höhepunkte und die schmerzenden Abstürze im jüdischen Klagegesang des Adagios.
Roi Shiloah war ein Villa Musica-Stipendiat der ersten Stunde: 1987 nahm er am Pilotprojekt der neuen Stiftung mit dem legendären Geiger Chaim Taub und vielen anderen Dozenten aus Israel teil. 37 Jahre später leitete er nun selbst ein Ensemble aus Villa Musica-Stipendiatinnen und -Stipendiaten von heute. Im ersten Teil konnten sie alle ihre Sonderklasse unter Beweis stellen: die sehr präsente Bratschistin Ayaka Taniguchi aus Japan und ihr edel intonierender, überaus wendiger Kollege Vittorio Benaglia aus Italien, die Geigerin Kaori López-Shinohara, die das Weinberg-Trio souverän und tonlich wunderbar präsent leitete, und die Cellistin Seungyeon Baik aus Korea, die in allen vier Stücken ihren schönen Ton und ihr feines Musizieren zur Geltung brachte. Die drei Streichtrios von 1943, 1944 und 1950 wirkten im Vergleich zu Mendelssohn viel schärfer, provokanter, rhythmischer, mit unendlichen Klangschattierungen im Zusammenspiel. Was sich in diesen Klängen an Leiderfahrungen aus Theresienstadt und dem stalinistischen Russland bündelte, das ließen Roi Shiloah und seine jungen Mitstreiter(inn)en auf packende Weise lebendig werden. Langer, dankbarer Applaus bei den rund 250 Zuhörerinnen und Zuhörern in der Neuen Synagoge Mainz und zuvor auch in den intimen Landsynagogen zu Laufersweiler und Niederzissen.
Fr, 8.11., 19 Uhr – Synagoge Laufersweiler
Sa, 9.11., 19 Uhr – Synagoge Niederzissen
So, 10.11., 17 Uhr – Neue Synagoge Mainz
Roi Shiloah, Violine, und junge Streicher/innen der Villa Musica
Gideon Klein: Streichtrio (Theresienstadt 1944)
Mieczysław Weinberg: Streichtrio a-Moll, op. 48
Hans Krása: Tanz für Streichtrio (Theresienstadt 1943)
Felix Mendelssohn: Streichquintett Nr. 2 B-Dur, op. 87