A Star Was Born
Sternstunde bei RheinVokal: Die junge chinesische Sopranistin Jiayu Jin bezauberte das Publikum in Andernach als Einspringerin für die erkrankte Francesca Lombardi-Mazzulli.
Sopran-Entdeckung
Keine Frage: der Sopranistin Jiayu Jin steht eine große Zukunft bevor. Glockenreine Töne, vibratolos angesetzt und in wohldosierte Schwingung versetzt; eine warme, runde Mittellage und gewaltige Kraftreserven in der Höhe; makelloses Italienisch und eine Alte-Musik-Stilistik, die vom Messa di voce bis zur feinen Verzierung alle Ausdrucksnuancen nutzt. Jede arrivierte Händel-Primadonna könnte sich glücklich schätzen, über all dies so scheinbar mühelos zu verfügen wie die junge Chinesin beim Händel-Konzert des Festivals RheinVokal. Sie kam, sang und siegte - dank Maestro Fabio Bonizzoni, der sie kurzfristig als Ersatz für die erkrankte Francesca Lombardi-Mazzulli verpflichten konnte. Bonizzoni und seine junge Primadonna kennen sich aus Mailand, wo Jiayu Jin 2022 das Konservatorium mit Bravour absolviert hat und seitdem bei Sonia Prina ihre Alte-Musik-Stimme formt. 2023 gewann sie in Cremona den Monteverdi-Gesangswettbewerb. Dass sie auch die Kraft zur Opern-Primadonna hat, beweist sie am Teatro Coccia in Novara und anderen italienischen Bühnen. Auch im zweiten Teil des Andernacher Programms mutierte Jiayu Jin in Händels dramatischer Solo-Kantate „Tu fedel? tu costante?“ zur Opernstimme einer liebeskranken Römerin. Wie sie in den Rezitativen den ganzen Schmerz der verratenen jungen Frau herausschleuderte, wie sie in den melancholischen Arien die Kantilenen ziselierte und in den beiden tänzerischen Nummern mit den Geigen korrespondierte, war schlicht meisterlich und die vielen Bravos weiß Gott wert, die sie dafür ernten durfte.
Römischer Händel aus Mailand
Dass am Primo Violino der weltbekannte Barock-Primarius Ryo Terakado agierte und mit seinen Kolleginnen eine Aureole des weichen Streicherklangs um die Sängerin legte, verlieh dem Händel-Genuss eine Stimmigkeit, wie man sie lange nicht gehört hat. Das Mailänder Ensemble La Risonanza ist gerade bei Händel eine Bastion der guten alten Alte-Musik-Ästhetik – geradlinig werktreu, klug und expressiv ohne New-Age-Verfremdungen. Dafür steht der Name Fabio Bonizzoni. Der Meistercembalist und Dirigent lenkte sein Ensemble zuerst von der wohl klingenden Truenorgel aus, dann vom Cembalo. Wer mit Händels römischen Werken so vertraut ist wie er, der kann mit einem einzigen Übergang, einem kleinen Rubato hier und einer besonders feinen Continuo-Ausetzung dort, wahre Wunder vollbringen. Schon Mitte Juli hatte er mit Jiayu Jin das chinesische Publikum in der ausverkauften Shanghai Symphony Hall mit Händel in Barock-Ekstase versetzt (1200 Zuhörer im Saal, 20.000 im Live-Stream). „Händel-Ekstase“ ist auch das richtige Wort für den Abend des RheinVokal-Festivals in der wunderschönen Christuskirche in Andernach. Im ersten Teil des Konzerts füllte sich die fast ausverkaufte Kirche mit den frommen Klängen katholischer Kirchenstücke, die der junge Händel anno 1707 in Rom und Vignanello komponiert hat. Von den brillanten Alleluja-Koloraturen der Pfingstmotette „O qualis de coelo sonus“ spannte sich der Bogen bis zum wahrhaft atemberaubenden Flehen und Seufzen in Händels Salve Regina. Eine ganze Kirche hielt den Atem an, um danach in Bravos auszubrechen. Wenn solches einer Einspringerin gelingt, ist es eine Sternstunde des Festivals.
Samstag, 28.7., 19 Uhr – Christuskirche Andernach
Jiayu Jin, Sopran | La Risonanza Mailand | Leitung, Orgel und Cembalo: Fabio Bonizzoni
Georg Friedrich Händel: Römische Marienmotetten, Salve Regina, Cantata HWV 171
Triosonaten von Corelli und Händel
Die nächsten Festivalkonzerte mit geistlicher Musik
17.8. Palestrina in Oberwesel
Fünf Männerstimmen tauchen in die Welt der großen Chormusik ein: Giovanni Pierluigi aus der Stadt Palestrina begann sein Wirken als Chorknabe an S. Maria Maggiore in Rom und leitete später die Chöre der Laternsbasilika und des Petersdorms. Als junger Kapellmeister an S. Giovanni in Laterano schuf Palestrina das zweite Buch seiner Lamentationen zur Karwoche. Um 1560 kleidete er die Klagelieder des Propheten Jeremias in makellos reine Akkorde und überirdisch schöne Dissonanzen. Das Wiener Ensemble Cinquecento hat diesen Zyklus in einer mustergültigen Einspielung vorgelegt und singt ihn nun live in der Liebfrauenkirche Oberwesel – Rom im Herzen des Rheintals.
Samstag, 17.8., 19 Uhr – Liebfrauenkirche Oberwesel
Ensemble Cinqucento (Wien)
Palestrina: Lamentationen zur Karwoche (Zweiter Band, Rom um 1560)
18.8. Französische Orgelmessen in Maria Laach
Die Abteikirche Maria Laach feiert den erfolgreichen Abschluss ihrer Orgelsanierung in der denkbar prachtvollsten Form: Pater Philipp Meyer OSB, leitet die Cappella Lacensis in französischen Orgelmessen der Romantik im Dialog mit beiden Orgeln. Bei der Uraufführung der Widor-Messe 1878 in der Pariser Kirche Saint-Sulpice waren 240 Stimmen im Doppelchor zu erleben. Das RheinVokal-Konzert im Rahmen der Laacher Festwoche kommt nicht ganz auf diese Besetzungsstärke und entfaltet trotzdem die gleiche Klangpracht, auch in der wundervollen Orgelmesse von Vierne aus dem Jahr 1906.
Sonntag, 18.8., 19 Uhr – Abteikirche Maria Laach
Capella Lacensis (Chor der Basilika) | Zwei Oroganisten | Philipp Meyer OSB, Leitung
Louis Vierne: Messe sollenelle, op. 18
Jean-Charles Gandry: Magnificat
Charles-Marie Widor: Messe für Chöre und zwei Orgeln, op. 36