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Neue Spielstätte im Festival RheinVokal: St. Rupertus und St. Hildegard, Pilgerkirche des Bistums Trier in Bingerbrück (Foto: Von C. M. - Eigenes Werk, Wikipedia).

Barock pur

Die Königin der Blockflöte und ein Rising Star unter den Countertenören in Bingerbrück – die ausverkaufte Hildegard-Kirche tobte vor Begeisterung.

Oberlinger und Mühlbacher in Bingen

von Karl Böhmer

Dorothee Oberlinger ist und bleibt die Königin der Blockflöte. „Flöte üben ist für mich wie Meditation“, sagte sie im Interview vor dem Konzert und sorgte eine Stunde später für ungläubiges Staunen angesichts solcher Virtuosität. Sie ist eine Virtuosa im umfassenden Sinne – voller Tugenden der Alten Musik, an die man im oft beliebigen Early-Music-Business unserer Tage schon nicht mehr glauben möchte: unfassbar schöne Verzierungen, Ausdruck in jedem Takt, Freiheit im Agogischen, aber strenge Disziplin im Zusammenspiel, Bearbeitungen nur in Maßen, perlende Geläufigkeit und schöner Tön auf jeder Flötenvariante vom tiefen Alt bis zum hellen Sopranino. Das alles paart sie mit einer Bühnenpräsenz und einer Natürlichkeit, die schlicht entwaffnend sind. Kein Wunder, dass die ausverkaufte Hildegard-Gedächtniskirche am Ende dieses fantastischen Konzerts Kopf stand.

Dazu trug auch der junge Altist Alois Mühlbacher aus Oberösterreich bei. Seine helle, füllige Altstimme, die sich besonders schön in die Mezzosopran-Lage aufschwingen kann, lässt ihm die Herzen zufliegen. In Aussehen und Auftreten paart er den gerade erst erwachsen gewordenen Sängerknaben aus St. Florian mit einem zukünftigen Opernstar, der sich im Landestheater Linz schon in der Titelpartie aus Händels Rinaldo bewährt hat. Entsprechend souverän trumpfte er in Rinaldos Bravourarie als Zugabe auf. Doch auch die kantablen Nummern gelangen ihm vorzüglich: Albinonis berückend schöne Arie „Pianta bella“ und Vivaldis c-Moll-Arie aus Orlando furioso mit obligater Flöte („Sol da te, mio dolce amore“). Wie Oberlinger und Mühlbacher sich hier die Bälle zuspielten, wurde vielleicht nur noch von ihrem innigen Dialog in Bachs Altarie „Leget euch dem Heiland unter“ aus dem „Himmelskönig“ übertroffen. Beide sind übrigens eines Sinnes, wenn es um das Aufbrechen der vierten Wand im Konzert geht: Mühlbacher trat in Telemanns Lied Der Einsame von hinten ein, begleitet vom Lautenisten Axel Wolf. In einer polnisch angehauchten Arie aus Telemanns Pastorelle en Musique, die Dorothee Oberlinger als Dirigentin in einer vorzüglichen Einspielung vorgelegt hat, „schwebte“ Mühlbacher aus der Apsis nach vorne in die Vierung. Freiheit der Werkkombinationen und Übergänge gehört zu dieser Konzertdramaturgie ebenso hinzu wie Freiheit im Agogischen und rhetorische Beredtheit.

Letztere legten auch die übrigen Ensemble-Mitglieder an den Tag: Anna Dmitrieva im Geigensolo einer wahrhaft dramatischen Telemann-Kantate aus dem Harmonischen Gottesdienst; Olga Watts in Bachs Chaconne, die sie in der rauschend-klangvollen Cembalo-Bearbeitung von Lars Ulrik Mortensen spielte; und Vladimir Waltham in den rasanten Cellopassagen der Follia von Vivaldi. Dem puren Barock-Glück stand an diesem Abend nichts im Wege, zumal sich die Kirche St. Ruprecht und St. Hildegard in Bingerbrück als ideale neue Spielstätte im Festival RheinVokal sofort bewährt hat.

Bach: Altarie aus „Himmelskönig, sei willkommen“, BWV 182
Händel: Cantata „Mi palpita il cor“, HWV 132c
Telemann: Kantate „Ergeuß dich zur Salbung der schmachtenden Seele“, TWV 1:447
Opernarien von Telemann und Albinoni
Vivaldi: La Follia, op. 1 Nr. 12
Bach: Chaconne aus BWV 1004 (Mortensen-Fassung für Cembalo)
Blockflötensonate, Triosonate und Quartett von Telemann und Händel

Alois Mühlbacher, Countertenor
Ensemble 1700
Dorothee Oberlinger, Blockflöte und Leitung