Ausverkauft: Voces8
Höhepunkt im RheinVokal-Festival: Das Konzert mit Voces8 im kING in Ingelheim war bis auf den letzten der 782 Plätze ausverkauft. Große Begeisterung über einen sehr englischen Abend.
London by Night
Ein Konzertbericht von Karl Böhmer
Englischer hätte dieser Abend nicht sein können: vom Understatement des stilvollen Outfits bis zur Perfektion der vibratoarm ziselierten Akkorde, von der Professionaität der Performance bis zum britischen Humor der Moderationen. Voces8 weiß, was es seinen Fans schuldig ist. Das noch junge, aber schon legendäre englische Vokalensemble trat nach 2012 zum zweiten Mal beim RheinVokal Festival auf, dieses Mal im kING in Ingelheim vor ausverkauftem Haus. Inzwischen haben die drei Frauen- und fünf Männerstimmen aus London einen Kultstatus erreicht, der sich nur mit den King's Singers zu ihren besten Zeiten vergleichen lässt. SWR-Redakteurin Sabine Fallenstein begrüßte das Publikum im Namen des Festivals und erläuterte, dass von der ursprünglichen Besetzung nur noch der Ensemble-Gründer und Countertenor Barnaby Smith und die Sopranistin Andrea Haines dabei seien. Vertraute Stimmen und Gesichter aus den letzten Jahren sind freilich auch der hochgewachsene erste Tenor Blake Morgan, sein Kollege Euan Williamson und der Bariton Christopher Moore. Die relativ neueren Stimmen im Ensemble fügten sich teilweise nahtlos ein: die Sopranistin Ailsa Campbell, die Altistin Katie Jeffries-Harris und der Bass Dominic Carver, der immer für eine komische Einlage gut war (Weelkes-Madrigal!).
Sehr zur Freude des Publikums luden die Acht zur singenden Nachttour durch die Londoner City ein. Die Plätze im kING-Doppeldecker waren voll besetzt mit einem Publikum durch alle Generationen hindurch. Wer kein Ticket mehr ergattern konnte, darf sich auf den Radio-Mitschnitt am 16. Oktober in SWR Kultur freuen.
Die Live-Tour vom Sonntagabend begann in der Chapel Royal mit einer freudig bewegten Ostermotette des großen William Byrd. Von dort lenkten die acht singenden Guides nach Covent Garden, wo Benjamin Britten 1953 im Royal Opera House seine Krönungsoper Gloriana für Elizabeth II dirigierte. In den Six Choral Dances aus dieser Oper spielten Frauen- und Männerstimmen ihre Rollen als Country Girls und Fishermen aus Norwich mit Bravour. Ein Schlenker führte nach Whitehall, ins alte Königsschloss der Tudors, wo man – ganz so wie seinerzeit Elizabeth I – andächtig einer ergreifend schönen, schlichten Motette von Thomas Tallis lauschen durfte. Dass sich auch Arthur Sullivan, der Meister der English Operetta, auf tiefernste Chormusik verstand, bewiesen Voces8 in „The Long Day Closes“, einer ergreifenden Meditation über den Lebensabend des Menschen und den nahen Tod. Viktorianisch im besten Sinne war auch das „Beati quorum via“ von Stanford mit seinen raffinierten harmonischen Zwischenfarben. kontrastreich modern und eindringlich Roxanna Panufniks „Love Endureth“ aus dem London unserer Zeit. Nach Westminster Abbey führte das Finale des ersten Teils, „O clap your hands" von Orlando Gibbons. Ensemble-Gründer Barnaby Smith erzählte die rührende Geschichte, wie ihn diese Motette als Sechsjährigen über die Trennung von seinem geliebten Bruder Paul hinwegtröstete und gleichzeitig seine Liebe zur Renaissance-Polyphonie weckte.
Dem Publikum musste man das mit dem Hände-Klatschen nicht zweimal sagen: Schon nach der frommen ersten Hälfte des Programms war die Begeisterung groß. Noch größer wurde die Freude im weltlichen zweiten Teil des Abends: Auf Bachs Bourée aus der zweiten Englischen Suite im „Dubi-dubi-du-Stil“ des Ward Swingle folgte der „Silver Swan“ von Gibbons als Klassiker des English Madrigal. In einem tänzerischen Weelkes-Madrigal über Nymphen und Schäfer ließen die acht Londoner zum ersten Mal die Zügel des Humors schießen, was sich im Rest des Abends bei Folk-Jazz-Standards noch mehrfach wiederholen sollte. Eher besinnlich klangen das Trennungslied „Underneath the Stars“ von Kate Rusby und „Timshel“ von Mumford & Sons, anknüpfend an die berühmte Quintessenz des Romans East of Eden von John Steinbeck. Im „Moondance“ von Van Morrisson kam dann endlich so etwas wie Music Hall-Atmosphäre auf, was sich im raffinierten Mix aus zwei Jazz-Standards zum Schluss des offiziellen Programms wiederholen sollte: „Come Fly with Me“ und „Fly me to the Moon“. Nat King Coles Klassiker „Straighten Up and Fly Right" aus dem Jahr 1943 verbreitete als erste Zugabe Evergreen-Nostalgie und Fernweh im Flugmodus. Mit Mendelssohns „Der Herr hat seinen Engeln befohlen über dir" aus dem Elias schickten Voces8 das Publikum behüteten Herzens auf den Heimweg. Sie selbst machen sich dieser Tage auf die Reise zu einer USA-Tournee. Das kING in Ingelheim verabschiedete die Gäste aus dem UK mit einer Standing Ovation und besonders schönen Blumensträußen, überreicht von der Ingelheimerin Sabine Röder und zwei jungen FSJ-Freiwilligen der Villa Musica.
Der Song „London by Night“ von Carroll Coates fasste den unvergesslichen Abend treffend zusammen: „Most people say they love London by day, but lovers love London by night." An diesem Abend waren es 782 Liebhaber der Vokalmusik, die im nächtlichen London voll auf ihre Kosten kamen.
Gesungenes Programm:
William Byrd: Haec dies
Benjamin Britten: Choral Dances aus der Oper Gloriana, op. 53
Thomas Tallis: O nata lux de lumine
Charles V. Stanford: Beati quorum via, op. 38 Nr. 3
Arthur Sullivan: The Long Day Closes
Roxanna Panufnik: Love Endureth
Orlando Gibbons: O Clap Your Hands
Pause
Johann Sebastian Bach: Bourée aus BWV 807 (Arr. Ward Swingle)
Orlando Gibbons: The Silver Swan
Thomas Weelkes: As Vesta Was from Latmos Hill Descending
Kate Rusby: Underneath the Stars (Arr. Jim Clements)
Mumford & Sons: Timshel (Arr. Jim Clements)
Van Morrison: Moondance (Arr. Alexander L’Estrange)
Carroll Coates: London by Night (Arr. Gene Puerling)
Bart Howard / Jimmy Van Heusen / Sammy Cahn: Come Fly with Me to the Moon (Arr. Alexander L’Estrange)
Zugaben:
Nat King Cole & Irving Mills: Straighten Up and Fly Right
Felix Mendelssohn: Der Herr hat seinen Engeln befohlen über dir
VOCES8
Andrea Haines, Ailsa Campbell | Sopran
Katie Jeffries-Harris | Alt
Barnaby Smith | Altus & Künstlerischer Leiter
Blake Morgan, Euan Williamson | Tenor
Christopher Moore | Bariton
Dominic Carver | Bass