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Venanzio Rauzzini, der schöne Kastrat, für den Mozart sein Exsultate, jubilate komponierte (Kostümfigurine aus den Beständen des Münchner Theatermuseums).

Adventskalender Mailand 18.12.1772

Am 18. Dezember 1772 schrieb Leopold Mozart einen Brief nach Salzburg. Die Mailänder Vorbereitungen für Wolfgangs Oper Lucio Silla traten in die heiße Phase ein …

Ein Weihnachten für die Oper

„Ich schreibe dieses heute freytags den 18., denn Morgen wird hart so viel Zeit übrig bleiben, etwas zu schreiben. In der frühe um halbe 10 uhr wird die erste probe seÿn mit allen Instrumenten.“ Leopold Mozart war ganz in seinem Element, als er diese Zeilen an seine Frau nach Salzburg sandte: Die neue Mailänder Karnevalsoper seines Sohnes Wolfgang musste im Lauf von acht Tagen auf die Bühne gebracht werden – der übliche enge Zeitplan einer Opera seria in Italien. Am zweiten Weihnachtsfeiertag war Premiere, und der Habsburger Erzherzog Ferdinand würde mit seiner Gemahlin Maria Beatrice d’Este im Publikum sitzen. Da durfte man sich keinen Lapsus erlauben. Der Manager Leopold Mozart blühte auf und trieb seinen sechzehnjährigen Sohn Wolfgang unermüdlich vor sich her. Das Thema der Oper war groß, tragisch, neu: Es ging um Lucio Silla, den römischen Dikator Sulla, um seine Gegenspieler Cecilio und Cinna und um die wunderschöne Frau zwischen den Kontrahenten: Giunia, verkörpert von der Primadonna Anna de Amicis.

Anna de Amicis, Freundin aus Mainzer Tagen

Neun Jahre war es her, dass die Mozarts mit der Koloratursopranistin aus Neapel Freundschaft geschlossen hatten: im heißen August 1763 im Hotel Zum König von England am Mainzer Liebfrauenplatz. 1770 in Neapel waren sie sich wiederbegegnet. Seitdem waren die de Amicis und der kleine Wolfgang unzertrennliche Freunde. In ihr, der Primadonna assoluta jener Jahre, hatte der junge Salzburger eine Verbündete im ewigen Kampf mit den Theaterintrigen Italiens. Allein schon der Zeitplan bis zur Uraufführung war mörderisch. Leopold Mozart berichtete seiner Frau:

„dieser täge waren 3 Recitativ Proben. Gestern Nachts ist erst der Tenor angekommen, und heute hat der Wolfgang 2 Arien für ihn gemacht, und hat ihm noch 2 zu machen. Sonntag den 20. ist die zweÿte probe, Erchtag den 22. die dritte Probe, Mittwoch den 23. die Hauptprobe. Donnerstag und Freytag nichts, am Samstag den 26 die erste opera, mit Gott, eben an dem Tag, da ihr diesen Brief erhaltet. dies schreibe ich beÿ der Nacht um 11 uhr, da der Wolfgang eben die 2. Tenor Arie fertig hat. Am Weinacht abend werden wir einem andächtigen Soupée beÿ Hernn von Germani beÿwohnen, die sich euch empfehlen und euere Gegenwart wünschen ... addio Lebts wohl.“

Das Weihnachtsmahl am Heiligabend wurde standesgemäß eingenommen: bei Don Ferdinando Germani, dem Haushofmeister des Ministers Graf Firmian. Dort wurden aber nicht Polenta und Risotto aufgetragen, sondern heimische Speisen: Germanis Ehefrau Therese war eine Wienerin, von deren Gastfreundschaft die Mozarts schon 1770 umfangreichen Gebrauch gemacht hatten. Für ein wenig heimelige Weihnachtsgemütlichkeit war also gesorgt. Der erste Feiertag war ganz den Gottesdiensten gewidmet: dem Hochamt und der Vesper.

Wie es Wolfgang in all dem zumute war, verrät seine knappe Nachschrift zum Brief des Vaters vom 18.12. Seine Schwester Nannerl konnte unschwer daraus lesen, dass er und der Vater nur noch die Oper im Kopf hatten. Immerhin aber hatte Wolfgang seinen Humor noch nicht verloren:

„Ich hoffe, du wirst dich gut befinden, meine liebe schwester. wenn du diesen Brief erhältst, meine liebe schwester, so geht denselbigen Abend, meine liebe schwester, meine opera in scena. Denke auf mich, meine liebe schwester, und bilde dir nur, meine liebe schwester, kräftig ein, du siehest und hörst, meine liebe schwester, sie auch. freilich ist es hart, weil es schon 11 Uhr ist, sonst glaube ich, und zweifle gar nicht, daß es beÿm tag lichter ist als zu ostern. meine liebe schwester, morgen speisen wir beÿm Herrn von Maÿer, und warum glaubst du? rathe – weil er uns eingeladen hat. Die morgige probe ist auf dem Theater. Der Impresario aber der Sig: Castiglioni hat mich ersucht ich solle niemand nichts darvon sagen, dann sonst lauffeten alle leute hinein, und das wollen wir nicht. also mein Kind Ich bitte dich sage niemanden nichts davon mein Kind, den sonst lauffeten zu viell heute hinein mein Kind. approposito, weist du schon die historie die hier vorgegangen ist? nun will ich sie dir Erzählen. wir giengen heut von Graf firmian weg um nach haus zu gehen, und als wir in unser gassen kamen, so machten wir unsere hausthür auf, und was meinst du wohl, waß sich zugetragen? wir giengen hinein. lebe wohl, mein lungel, Ich küsse Dich, meine leber, und bleibe wie allzeit, mein magen, dein unwürdiger bruder Wolfgang Frater
bitte bitt meine liebe schwester: mich beists, kraze mich.“

Kastratenstreiche

Humor hatte der junge Maestro bei den Proben bitter nötig, hatte er es doch mit einem besonders eitlen Vertreter des Kastratenfachs zu tun: mit dem Sopranisten Venanzio Rauzzini. Trotz seiner erst 26 Jahre legte der gefeierte Sänger ein erstaunliches Selbstbewusstsein an den Tag, denn er besaß nicht nur eine besonders edle, wenn auch kleine Stimme, er war auch einer der schönsten Kastraten, die jemals die Bühne betraten: „Venanzio. Vortrefflich; großer Sänger; schöner Mann; ein wahrer Spiegel der Liebe. Ein Impresario kann durch ihn nur gewinnen, denn die Weiber besuchen das Theater, um ihn zu sehen. Jetzt ist es noch an der Zeit, mit ihm anzubinden; später wird der Bursche zu dick, wozu er jetzt schon Anlage hat.“ Diese Zeilen aus den Notizen eines Impresario von 1776 beschreiben den damaligen „Marktwert“ des Sängers, der wenig später nach London ging. Dort wurde er als Sopranist gefeiert und sogar als Komponist geachtet, bis er gegen seinen berühmten Kollegen Antonio Sacchini einen unsinnigen Pagiatsprozess anstrengte. Reizbar war er also zeitlebens, der große Rauzzini. In Mozarts Lucio Silla stand er noch im Schatten der Primadonna de Amicis, wofür er sich mit manchem „Castratenstreich“ revanchierte, wie Leopold Mozart berichtete. Am Ende aber musste selbst der eitle Rauzzini zugeben, dass ihm Mozarts Arien vollendet auf den Leib geschneidert waren. As ihn die Theatiner im Januar baten, in ihrer Mailänder Kirche Sant’Antonio Abate eine Motette zum Festtag des Heiligen zu singen, bat er ausgerechnet Mozart um die Musik. So kam es vier Wochen nach Weihnachten, am 17.1.1773, zur Uraufführung der Motette „Exsultate, jubilate“. 

Exsultate, jubilate

In seinem Motetto composto in Milano nel gennaio 1773 („Motette, komponiert in Mailand im Januar 1773“) löste Mozart seine Aufgabe glänzend: Schon in der ersten Arie bot er Rauzzini die Gelegenheit, in Koloraturen bis zum zweigestrichenen A zu glänzen, daneben aber auch die Schönheit seiner „voix flutée“ zu zeigen, seiner „flötenden Stimme“. Mit sicherer Hand, ohne jede Korrektur brachte Mozart auch die zweite Arie, ein wunderschönes A-Dur-Andante, zu Papier, während er beim Schreiben des brillanten „Alleluja“ im Eifer des Gefechts doch so Manches zu korrigieren hatte. Übrigens schrieb Mozart den Text des ersten Verses konsequent: „Exultate, jubilate“ ohne „s“ – eine Abweichung vom Lateinischen, die in heutige Ausgaben nicht übernommen wurde. Hier der Text der ersten Arie im lateinischen Original und in deutscher Übersetzung – damit Mozarts festliche Vertonung als Einstimmung auf Weihnachten noch besser zur Geltung kommt:

Exsultate, jubilate,
O vos animae beatae,
Dulcia cantica canendo;
Cantui vestro respondendo,
Psallant aethera cum me.

Jauchzet, jubelt,
O glückliche Seelen,
Süße Lieder singend.
Eurem Gesang antwortend,
Soll der Äther mit mir Psalmen singen.

Zum Hören:

Mozart, Exsultate, jubilate, KV 165, erste Arie, gesungen von Regula Mühlemann und dirigiert von Andrès Orozco-Estradaam Pult der Staatskapelle Dresden in der festlichen Frauenkirche:

https://www.youtube.com/watch?v=o_fA-Ls4RXk

Mozart, Lucio Silla, KV 135, Cecilios zweite Arie „Ah se a morir mi chiama“ mit Franco Fagioli und dem Kammerorchester Basel unter Daniel Bard:

https://www.youtube.com/watch?v=NOMbSV_MWdM

Mozart, Lucio Silla, KV 135, Giunias Bravourarie „Ah se il crudel periglio“ mit Nathalie Dessay und dem Orchestra of the Age of Enlitghtenment unter Louis Langrée:

https://www.youtube.com/watch?v=bHvFF_pqhbs