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Das „Humperdinck-Schlösschen“ in Boppard heute (Foto: Christian Boppard).

Adventskalender Mainz-Koblenz

Weihnachtslieder von Peter Cornelius und Engelbert Humperdinck in Manuskripten aus Mainz und Koblenz – Weihnachtsschätze von den Ufern des Rheins.

Weihnachtsliederschätze in Mainz und Koblenz

Da sage nur einer, die Bibliotheken hierzulande könnten nicht mit Weihnachtsschätzen aufwarten: Weihnachtslieder des Mainzers Peter Cornelius und des Wahl-Bopparders Engelbert Humperdinck gehören zu den Kostbarkeiten der Mainzer Stadtbibliothek und der Rheinischen Landesbibliothek in Koblenz. Beiden Komponisten gelang es, die Innigkeit des Weihnachtsfestes aufs Genre des romantischen Liedes zu übertragen. Deshalb dürfen sie im Villa Musica-Adventskalender nicht fehlen.

Boppard, 7.12.1898

In der Rheinischen Landesbibliothek zu Koblenz findet sich unter der Signatur H 92/10 das autographe Manuskript des schönen Liedes Weihnachten, das Engelbert Humperdinck am 7. Dezember 1898 in seiner Bopparder Villa zu Papier brachte. Den Text „Leise weht’s durch alle Lande“ verdankte er seiner Schwester Adelheid Wette, die zuvor schon als Librettistin von Hänsel und Gretel nachhaltigen Anteil am Welterfolg ihres Bruders hatte. Die umjubelte Uraufführung seiner Märchenoper 1893 in Weimar unter der Leitung von Richard Strauss hatte dem Komponisten einen solchen Geldsegen beschert, dass er sich davon 1897 seine Villa in Boppard kaufen konnte, noch heute „Humperdinck-Schlösschen“ genannt. Dort verbrachte er ab 1897 mit seiner Familie drei glückliche Jahre, bevor die Humperdincks nach Berlin weiterzogen. Boppard am Rhein diente fortan als Sommerdomizil. Nur drei Mal stellte der Komponist im „Humperdinck-Schlösschen“ einen Christbaum auf und ließ den Zauber der Weihnacht durch die weiten Räume wehen – ganz so, wie es seine Schwester in ihren Versen zu Weihnachten 1898 geschildert hat:

Leise weht's durch alle Lande
  Wie ein Gruß vom Sternenzelt,
  Schlinget neue Liebesbande
  Um die ganze weite Welt.
Jedes Herz mit starkem Triebe
  Ist zu Opfern froh bereit,
  Denn es naht das Fest der Liebe,
  Denn es naht die Weihnachtszeit.

Und schon hat mit tausend Sternen
  Sich des Himmels Glanz entfacht,
  Leise tönt aus Himmelsfernen
  Weihgesang der heil'gen Nacht.
Hell aus jedem Fenster strahlet
  Wundersam des Christbaums Licht,
  Und der Freude Schimmer malet
  Sich auf jedem Angesicht.

Lichte Himmelsboten schweben
  Ungeseh'n von Haus zu Haus;
  Selig Nehmen, selig Geben
  Geht von ihrer Mitte aus.
O willkommen, Weihnachtsabend,
  Allen Menschen, groß und klein!
  Friedebringend, froh und labend
  Mögst du allen Herzen sein!

Die helle, hohe Klavierbegleitung umhüllt die schlichte Melodie so flockig wie zarter Schnee. Unaufgeregt spielt die Harmonie von F-Dur nach As-Dur und c-Moll hinüber, ohne jede chromatische Komplikation. Die letzte Strophe ist wunderbar als Höhepunkt herausgearbeitet. Ihre Wiederholung hat Humperdinck „ad libitum“ mit einem dreistimmigen Frauenchor unterlegt – Zeugnis der geselligen Aufführungen im Familienkreis, wo sich große und kleine Sängerinnen um den Christbaum versammelten. Spätere Bearbeiter ließen sich von diesem Chorschluss zu orchestral üppigen Arrangements des schlichten Klavierliedes inspirieren, angestiftet von Humperdincks eigener, genialer Orchestrierung in Hänsel und Gretel.

Mainz, 24.12.1824

Wer an Heiligabend zur Welt kommt, dem wird das Weihnachtslieder-Schreiben gleichsam in die Wiege gelegt: Peter Cornelius wurde am 24.12.1824 in Mainz geboren und starb ein halbes Jahrhundert später am 17.10.1874 auf dem Mainzer Kästrich – unweit jener barocken Bastion Alexander, auf der 40 Jahre nach seinem Tod die heutige Villa Musica errichtet wurde. Im Peter Cornelius Archiv der Mainzer Stadtbibliothek wird die autographe Handschrift seiner sechs Weihnachtslieder von 1856 verwahrt. Auch bei diesen Liedern spielte die Schwester des Komponisten eine entscheidende Rolle – nicht als Textdichterin wie im Falle der Geschwister Humperdinck, sondern als Widmungsträgerin:

Weihnachten. Ein Liedercyclus. Seiner Schwester Elisabeth Schily gewidmet von Peter Cornelius, 25t Dec. 1856.

So steht es auf dem Liederheft zu lesen, 19 Seiten im Querformat mit der Signatur PCA Mus. ms. 12. Es enthält die sechs Lieder in ihrer Urfassung. Bereits 1859 hat sie der Komponist auf Anraten von Franz Liszt überarbeitet und nochmals 1870, als er endlich einen Verleger fand, der den Zyklus als sein Opus 8 drucken wollte. Zwischen diesen Sechs Weihnachtsliedern Opus 8 und jenem 14 Jahre älteren Zyklus Weihnachten in der handschriftlichen Fassung gibt es deshalb erhebliche Abweichungen. So hat Cornelius im dritten Lied Die Könige das Choralzitat Wie schön leuchtet der Morgenstern erst in der zweiten Fassung angebracht. Die Titel und Textanfänge der sechs Lieder blieben weitgehend identisch. Sie zeichnen ein doppeltes Bild von Weihnachten – einerseits vom Heilsgeschehen zwischen Heiligabend und Mariä Lichtmess, andererseits von den Weihnachtsgebräuchen der Zeit. Im vierten Lied ist Cornelius ein Fehler unterlaufen: Der greise Simeon stimmte seinen Lobgesang auf den Erlöser im Tempel von Jerusalem nicht schon bei der Beschneidung Jesu an, also eine Woche nach der Geburt, sondern erst bei der obligatorischen Reinigung Mariä 40 Tage nach der Niederkunft. In seinem poetischen Überschwang erwies sich der dichtende Komponist als wenig bibelfest:

1. Christbaum: „Wie schön geschmückt der festliche Raum“
2. Die Hirten: „Die Hirten wachen nachts im Feld“
3. Die Könige: „Drei Kön'ge wandern aus Morgenland“
4. Simeon: „Das Knäblein nach acht Tagen ward gen Jerusalem“
5. Christus der Kinderfreund: „Das zarte Knäblein ward ein Mann“
6. Christkind: „Der einst ein Kind auf Erden war“

Weihnachten 1856 in Thüringen

Entstanden sind diese sechs Lieder in der Adventszeit 1856 im thüringischen Bernhardshütte, wo der Komponist Abstand suchte von der erdrückenden Präsenz Franz Liszts in Weimar. Zu sich selbst kommen, auch in geistlicher Hinsicht, war für den gläubigen Katholiken aus Mainz eine Triebkraft beim Schreiben dieser Lieder – ihrer Texte wie ihrer Musik. „Sinnig und eigentümlich“ sollten sie sein, „ein ganz dankbares kleines Werk von ungezierter Frömmigkeit“. Am Ende durfte der „Singer-Song-Writer“ der deutschen Romantik, der stets Texte und Musik zusammen entwarf, befriedigt feststellen, wie „gewissenhaft und künstlerisch“ er dabei zu Werke gegangen war. Ganz nebenbei sind diese sechs Lieder aber auch ein Zeugnis dafür, wie man anno 1856 in Deutschland Weihnachten feierte. Im Eingangslied geht es um den Christbaum als Zentrum bürgerlicher Weihnachtskultur:

Wie schön geschmückt der festliche Raum!
  Die Lichter funkeln am Weihnachtsbaum!
  O fröhliche Zeit, o seliger Traum!
Die Mutter sitzt in der Kinder Kreis,
  Nun schweiget alles auf ihr Geheiß,
  Sie singet des Christkinds Lob und Preis,
Und rings vom Weihnachtsbaum erhellt,
  Ist schön in Bildern aufgestellt
  Des heiligen Buches Palmenwelt.
Die Kinder schauen der Bilder Pracht,
  Und haben wohl des Singens acht,
  Das tönt so süß in der Weihenacht.
O glücklicher Kreis im festlichen Raum,
  O goldene Lichter am Weihnachtsbaum,
  O fröhliche Zeit, o seliger Traum!

Nur nebenbei sei bemerkt, dass diese Idylle in Bernhardshütte durchaus trügerisch war. Das benachbarte Sonneberg stieg bis zum Ersten Weltkrieg zur „Werkstatt des Weihnachtsmannes“ auf: Rund zweieinhalbtausend Familienbetriebe produzierten in den Städtchen der Region 20 % der auf dem Weltmarkt gehandelten Spielwaren in Hand- und Heimarbeit. Die Arbeitsbedingungen waren unmenschlich, besonders für die Kinder, die mittun mussten, um die Eltern vor dem Hungertuch zu bewahren. Ob Peter Cornelius derlei schon 1856 hätte bemerken können? Auch die Idylle seiner Weichnachtslieder hatte ihre Kehrseite.

Zum Hören:

Christina Landshamer singt Weihnachten von Engelbert Humperdinck, Klavier: Hinrich Alpers
https://www.youtube.com/watch?v=2pjxMjSmc8I

Olaf Bär singt die sechs Weihnachtslieder Opus 8 von Peter Cornelius, Klavier: Helmut Deutsch (Aufnahme 1996)
https://www.youtube.com/watch?v=oYkxJIF2HXA

Katharina Konradi singt Weihnachten von Engelbert Humperdinck, Sächsische Staatskapelle Dresden, Petr Popelka
https://www.youtube.com/watch?v=St8CwCmMY0A