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Händel im Jahr 1738, Bozzetto zur Statue in Vauxhall Gardens von Louis-François Roubiliac (Fitzwillian Museum, Cambridge).

Adventskalender London 24.12.1737

24.12.1737 in der Lower Brook Street zu London: Händel vollendet seine Oper Faramondo und beginnt gleich zwei Tage später mit der nächsten. Christmas mit Largo und Weihnachtsgans.

Opernouvertüre und Weihnachtsgans

Punktlandung zu Weihnachten: Am 24.12.1737 schrieb Georg Friedrich Händel die letzten Noten zu seiner neuen Oper Faramondo nieder. Nun konnte er sich ganz dem Fest widmen. Ob aus der prachtvollen Ouvertüre schon ein wenig Weihnachts-Vorfreude heraszuhören ist? Als Junggeselle war Händel an Weihnachten aller familiären Pflichten ledig. So konnte er nach Herzenslust komponieren und sich dazwischen mit voller Genugtuung der Weihnachtsgans hingeben, die ihm sein Koch Waltz mit Raffinesse zubereitete. Dabei waren ihm Gäste höchst unwillkommen. Noch lange nach seinem Tod kursierte in London ein buchstäblich „geflügeltes“ Wort, das man ihm zuschrieb: „The goose is a most inconvenient bird, too much for one and not enough for two“. Die Gans sei ein dummer Vogel – für einen zu viel und für zwei zu wenig. Die Freiland-Gänse im England des 18. Jahrhunderts dürften nicht ganz so viele Pfund auf die Waage gebracht haben wie die überfütterten Mastgänse unserer Tage. Und Händels Appetit war legendär. Keiner seiner Freunde wagte es, ihn am ersten Feiertag beim Weihnachtsessen zu stören.

Händel im Christmas Service

Was den Gottesdienst betraf, konnte es sich der Hallenser an Weihnachten gemütlich machen – ganz im Gegensatz zu seinen Kollegen Bach und Telemann, für die jedes Weihnachtsfest ein Parcours an kirchenmusikalischen Aufführungen in mehreren Hauptkirchen gleichzeitig war. Obwohl Händel zeitlebens ein überzeugter Lutheraner blieb, hatte er sich als Gotteshaus die anglikanische Kirche um die Ecke herausgesucht. Von seinem Haus in der Lower Brook Street waren es nur wenige hundert Meter nach Saint George. In dem schlichten klassizistischen Kirchenraum hörte er den Gottesdienst und ging danach seiner Wege. Nur ganz gelegentlich setzte er sich an die Orgel, um etwas zu spielen, Amtspflichten hatte er keine. So blieb ihm genügend Muße, um sich nach dem Weihnachtsgottesdienst an den Schreibtisch zu setzen und an seiner neuen Oper weiterzuarbeiten, bis die Gans aufgetragen wurde.

Boxing Day: Händel komponiert

Gut gestärkt vom Weihnachtsmahl und geistlich erhoben durch die Gebete des Christmas Service, ging Händel am „Boxing Day“ wieder an die Arbeit. Am zweiten Feiertag 1737 begann er mit seiner neuen Oper Serse und komponierte gleich eines seiner allerberühmtesten Stücke: das so genannte „Largo“, das eigentlich ein Larghetto ist, eine Arie des verliebten Perserkönigs Xerxes. In der ersten Szene singt er eine verzückte Liebes-Arie an eine Platane, die ihm den schönsten Schatten spendet: „Ombra mai fu“. Schon zwei berühmte Italiener hatten diesen Text vor Händel vertont: der Venezianer Francesco Cavalli in seinem Xerse von 1655 und Giovanni Bononcini in seiner römischen Version von 1694. Die Letztere legte sich Händel an jenem 26.12. aufs Cembalo, um „warm“ zu werden. Damit er in die rechte Komponierlaune kam, spielte er sich üblicherweise die Werke anderer Komponisten durch, aus denen er sich dann die ein oder andere kleine Idee „ausborgte“. In diesem Fall ging Händels „Borrowing“ ziemlich weit, doch hat die Nachwelt dies kaum zur Kenntnis genommen: Das „Largo“ wurde so berühmt, dass seine Melodie heute schlicht als „Händel“ gilt, auch wenn Bononcini die entscheidende Idee dazu gab. Dass es heutzutage in vielen Weihnachtskonzerten aufgeführt wird, ist nicht ganz unberechtigt, bedenkt man den Tag, an dem es komponiert wurde. Ob Händel an jenem „Boxing Day“ seiner treuen Dienerschaft auch die Geschenk-Boxen überreichte, nach denen der Tag in England bis heute benannt wird, ist nicht überliefert.

Twelve Nights: Händel probt

Die ruhige Zeit der „Zwölfnächte“ zwischen Weihnachten und Dreikönig nutzte Händel nicht nur zum Komponieren, sondern auch zum Einstudieren neuer Werke. Als er sich an Weihnachten 1741 in Dublin aufhielt, konnte er wahrhaft zufrieden sein. Sein erstes von sechs Oratorienkonzerten in der neuen Music Hall in der Fishamble Street war am 23.12. ein so rauschender Erfolg gewesen, dass er schon an eine Verlängerung der Serie um weitere sechs Konzerte denken durfte. Noch lag die eigentliche Trumpfkarte seiner Irland-Reise in seinem Schreibtisch: die Partitur des Messias, die er in London fertiggestellt und mit auf die weite Fahrt genommen hatte. Erst nachdem sich alle Bedingungen in Dublin als ideal erwiesen hatten, plante er fürs neue Jahr ernsthaft die Uraufführung. An Charles Jennens, den Librettisten des Messiah, schrieb er am 29.12.1741 in bester Laune einen langen Brief:

„Der hiesige Adel gab mir die Ehre, unter sich eine Subskription auf sechs Nächte zu veranstalten, was einen Konzertsaal von 600 Plätzen gefüllt hat, ohne dass ich auch nur ein einziges Ticket an meiner Haustür verkaufen musste. Und ohne eitel zu sein, darf ich sagen, dass die erste Aufführung mit allgemeinem Applaus aufgenommen wurde. Signora Avoglio, die ich von London mitbrachte, gefällt außerordentlich. Ich habe auch einen Tenorsolisten herangebildet, der sehr viel Befriedigung gewährt. Die Bässe und Countertenöre sind sehr gut, und die restlichen Chorsänger machen ihre Sache unter meiner Leitung außerordentlich gut. Was das Orchester betrifft, ist es wirklich exzellent, da Mister Dubourgh der Konzertmeister ist. Die Musik klingt außergewöhnlich gut in diesem bezaubernden Raum, was mich in so gute Laune versetzt, dass ich (weil auch meine Gesundheit stabil ist) auf der Orgel mehr als üblich brilliere … Das Publikum besteht (abgesehen von der Blüte erlauchter Damen und Personen höchsten Rangs) aus so vielen Bischöfen, Deans, College-Rektoren und führenden Juristen, dass ich die zuvorkommende Behandlung, die ich hier erfahre, nicht angemessen würdigen kann. Die Höflichkeit dieser Nation dürfte Ihnen freilich vertraut sein, so dass Sie sich leicht meine Zufriedenheit ausmalen können, da ich meine Zeit mit Ehren, Profit und Vergnügen zubringe.“

„Passing my time with honour, profit and pleasure” – besser als an Weihnachten 1741 in Dublin dürfte sich Händel selten gefühlt haben. In derselben guten Laune probte er mit seinen beiden wichtigsten Gesangssolisten die Partien der kommenden Oratorien: Cristina Maria Avoglio, geborene Graumann, eine Sopranistin aus Mainz oder Frankfurt, die einen italienischen Tenor geheiratet hatte, durfte schon im Februar in die Rolle der Esther schlüpfen. James Baileys, der irische Tenor, dessen Stimme Händel entdeckt und nach seinen Vorstellungen geformt hatte, wurde vom Meister schon einmal mit den Tenorarien aus dem Messiah vertraut gemacht. Für März hatte Händel die Uraufführung vorgesehen, was sich letztlich bis zum 15.4.1742 verzögerte – ein Jahrhundertereignis in den Annalen der Musikgeschichte, das an Weihnachten 1741 in Dublin schon vorbereitet wurde.

Zum Hören:

Händel: Ouverture zu Faramondo, Les ambassadeurs, Alexis Kossenko

https://www.youtube.com/watch?v=J6UEPEEUkWk

Franco Fagioli singt „Ombra mai fu“ aus Serse:

https://www.youtube.com/watch?v=FD8eL-1a0As

Hanna Blasikova und Alex Potter im Duett „Who calls my parting soul from death“ aus Esther, gesungen auf Hebräisch in der Version von Jacob Raphaël Saraval (1759), Concerto Köln, Leitung: Shalev Ad-El (Köln 2022):

https://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=Handel+Esther+Aria&ie=UTF-8&oe=UTF-8#fpstate=ive&vld=cid:15de2847,vid:gi2iHYXaoGA,st:3300

Michael Spyres singt „Comfort ye“ und „Ev’ry valley“ aus Messiah, mit The English Concert unter John Nelson:

https://www.youtube.com/watch?v=91Z3ShZHZT4