News

Der Graben in Wien auf einem Stich von Carl Schütz aus dem Jahre 1781. Rechts vorne der Trattnerhof, wo Mozart im Advent 1786 vier Konzerte gab und sein C-Dur-Klavierkonzert KV 503 aus der Taufe hob.

Adventskalender Wien 4.12.1786

Der 4.12.1786 war in Wien ein windstiller Tag bei winterlichen -2 Grad. In seiner Wohnung am Stephansdom vollendete Mozart ein neues Klavierkonzert und las in der Wiener Zeitung eine Anzeige für Nürnberger Lebkuchen. Eine Momentaufname aus dem Advent der Mozartzeit, erzählt von Karl Böhmer.

Wiener Advent mit Lebkuchen

Lebkuchen-Schmid anno 1786: In der Wiener Zeitung machte ein gewisser Johann Georg Schmid „einem hohen Adel, und dem schätzbaren Publikum bekannt, daß er mit hoher Erlaubniß die weisse Nürnberger Lebkuchen gerecht verfertigte“. Mit schwarzem Schokoladenguss war die Spezalität aus dem Frankenland damals offenbar noch nicht zu haben. Schmid verkaufte die Köstlichkeiten „eben um jenen Preis, wie man sie in Nürnberg bezahlt.“ Um den „Betrug, welcher bey Verkaufung derley Lebkuchen bisher obwaltete, zu verhindern“, bot er sie im halben Dutzend an mit seinem Namen als Markenzeichen darauf. Wie sich die Verhältnisse doch gleichen!

Wiener Klavierkonzert und „Prager Sinfonie“

Sicher lasen Wolfgang und Constanze Mozart in der Wiener Zeitung die mehrfach wiederholte Anzeige des Lebkuchen-Schmid jener Tage, und auch ihr zweijähriger Sohn Carl Thomas hätte an der Köstlichkeit aus Franken sicher seine helle Freude gehabt. Viel Zeit für stille Adventsstunden blieben der Familie freilich nicht. Vater Wolfgang musste wieder einmal eine Serie von Adventskonzerten organisieren. Der Hammerflügel muste transportiert und gestimmt werden, die Orchestermusiker waren bei Laune zu halten und die Konzerte dem Publikum mit angemessenem Vorlauf anzuzeigen. Auch neue Werke durften nicht fehlen: Bei klirrenden -2 Grad und strahlend blauem Himmel trug Wolfgang am 4. Dezember 1786 ein neues Klavierkonzert in C-Dur als vollendet in sein Eigenhändiges Werkverzeichnis ein. Zwei Tage später folgte eine große Sinfonie in D-Dur. Ludwig Ritter von Koechel sollte den beiden Werken später die KV-Nummern 503 und 504 verleihen. Dass die Sinfonie einmal unter dem Beinamen „Prager Sinfonie“ weltberühmt werden sollte, weil sie Mozart im folgenden Januar auf seine Reise in die böhmische Hauptstadt mitnahm, konnte er im Advent noch nicht ahnen. Die neue Sinfonie war wie das neue Klavierkonzert für seine Adventsakademien bestimmt, die er im Casino im Trattnerhof am Graben veranstaltete. Am 8. Dezember schrieb Leopold Mozart darüber an seine Tochter Nannerl: Aus einem „sehr unlesbaren Brief von deinem Bruder“ könne sie „abnehmen, dass er auf dem Casino 4 Adventaccademien giebt“.

„Adventaccademie“ mit Klavierkonzert

Der Advent 1786 begann am 3. Dezember. Im Frühjahr hatte die Salzburger Zeitung Pfeffer und Salz von Mozart berichtet, er tue sich als Klaviervirtuose und Konzertveranstalter nicht nur in der Fastenzeit, sondern auch im Advent hervor: „Mit den Schauspielen wechseln musikalische Akademien ab, welche verschiedene Virtuosen auf ihre eigene Faust und zu ihrem eigenen Besten geben. Unter diesen zeichnet sich Herr Mozart besonders aus. Er ist ungemein beliebt, und sein Ausdruck verdient Bewunderung. Er ist auch gefällig genug, sich recht oft hören zu lassen. Seine Ernte ist nicht auf die Fastenzeit beschränkt, er thut es im Advent, und, wenn es sonst dem Publikum beliebt, auch im Sommer.“ Diese Spitze gegen Mozarts allzu häufiges Konzertieren verlor schon bald ihre Gültigkeit: Die Akademien im Advent 1786 und zwei weitere Konzerte im Februar 1787 waren die vorläufig letzten größeren Konzerte, die er in Wien veranstaltete. Der Türkenkrieg Kaiser Josephs II. zwang auch ihn dazu, ab 1788 kleinere Brötchen zu backen. Mozart verlagerte sich auf „Quartettsubskriptionen“, sprich: auf Kammermusikabende gegen Eintritt, da sie leichter zu finanzieren waren als große Orchesterakadamien. Insofern war das Klavierkonzert Nr. 25 vom Dezember 1786 der Abschluss jener großen Reihe von Wiener Klavierkonzerten, mit denen er Ende 1782 begonnen hatte, die Nummern 12 bis 25. Was darauf folgte, waren zwei Nachzügler: das „Krönungskonzert“ Nr. 26 (KV 537) als „Reisekonzert“ mit Bläsern ad libitum und das lyrische Konzert Nr. 27 in B-Dur (KV 595).

Wiener Wintermode anno 1786

Wenn sich die vornehmen Wienerinnen und Wiener in jenem Dezember in Richtung Trattnerhof aufmachten, um Mozarts neuem Klavierkonzert zu lauschen, warfen sie sich in die Wintermode der Saison: „Der Winter ist heuer äusserst gelinde“, berichtete das Journal des Luxus und der Moden aus Wien. „Die gewöhnliche Wintertracht der Weiber sind noch immer zum Negligee die Pelzmäntel, die Leib-Pelze, und die Kapotte. Die Pelzmäntel werden meist von den Damen höhern Standes getragen, die gewöhnlichen Farben sind rosenroth, weiß, und franzblau. Die Kapotte findet man bey allen Ständen: die Damen tragen Scharlachrothe, mit gleichfärbigen oder schwarzsammtnen Kragen und Aufschlägen mit Gold gestickt ... Die Männer fangen sehr häufig an, große dreyspitzige Hüte zu tragen, deren Rand von der inneren Seite rings herum mit frisirten schwarzen Federn besetzt ist. Auch die langen Englischen Kapotröcke, welche bis an die Knöchel reichen, werden seit einigen Monaten wieder sichtbar.“ An Farbenpracht mangelte es also nicht bei jenen 130 Zuhörern, die im Casino Platz fanden. Auch der Raum selbst war farbig freskiert, handelte es sich doch um den oberen Teil der ehemaligen St. Georgs-Kapelle, in die man 1783 eine Zwischendecke eingezogen hatte, wie der Wiener Forscher Michael Lorenz herausfand. Kein großer Saal, eher ein Zimmer mit 90 Quadratmetern Grundfläche, so dass die Wiener dem großen Mozart im Stehen lauschen mussten.

C-Dur-Konzert mit Ballettmusik-Finale

Der Farbenpracht des Auditoriums stand Mozarts Orchester in nichts nach: Pauken und Trompeten, Flöte und Oboen, Hörner, Fagotte und Streicher setzen in vollen C-Dur-Akkorden ein, die lautesten und prachtvollsten, mit denen er jemals ein Klavierkonzert eröffnet hat. Darauf folgt ein fast dreiminütiges Orchestervorspiel, das längste unter allen Mozart-Konzerten. Im Seitenthema kommt es zum plötzlichen Umschlag nach c-Moll. Schon hier „pocht das Schicksal an die Tür“ – mit jenem Drei-Achtel-Auftakt, wie ihn später Beethoven in der Fünften weltberühmt machen sollte. Bei Mozart eröffnet das berühmte Pochen einen c-Moll-Marsch der Streicher, den die Bläser alsbald wieder nach Dur lenken. Das Farbenspiel in diesem Marsch-Thema ist berückend schön, doch nach dem Orchestervorspiel verschwindet es, bis es mitten in der Durchführung plötzlich wieder auftaucht. Dort hat Mozart die pochenden Achtel unerbittlich durch die Tonarten und die Stimmen geführt, mit fast schon Beethovenscher Strenge, bis auf wundersame Weise wieder die Prachtakkorde des Anfangs eintreten. Die klassische Konzertform hat er hier sinfonisch aufgeladen wie kaum jemals zuvor – sein längster und anspruchsvollster Konzertsatz mit einer Fülle von Nebengedanken, da auch der Pianist sein eigenes Haupt- und Seitenthema vorstellt. Die Pracht des festlichen C-Dur schlägt immer wieder unvermittelt in melancholisches Moll um, während der ominöse Drei-Achtel-Auftakt den Satz wie ein Leitmotiv durchzieht.

Auch im Mittelsatz legt sich die typische Melancholie des „späten“ Mozart unwillkürlich über ein liebliches F-Dur-Andante im ruhigen Dreiertakt. Sein fallendes Dreiklangsthema mit zarten Bläsergegenstimmen hätte im Wien des Jahres 1786 auch eine Hirtenmusik für das Jesuskind sein können.

Das Rondofinale wartet mit einem der schönsten Tanzthemen Mozarts auf. Ursprünglich gehörte diese Gavotte zur Ballettmusik seiner Oper Idomeneo, wurde aber anno 1781 in München nicht aufgeführt. Als er seine Münchner Oper im März 1786 für das Wiener Palais Auersperg einrichtete, muss ihm jene gestrichene Gavotte wieder in die Hände gefallen sein. Eine solche Melodie ließ man nicht ungenutzt liegen: Im Advent zauberte er daraus eines seiner schönsten Rondo-Finali.

Mit diesem festlichen Tanz im Ohr konnten die Wiener in eine fröhliche Adventszeit gehen. Die Mozartfans unter ihnen durften bis Weihnachten noch drei weitere Akademien ihres Stars erleben und am 20.12. eine Aufführung von Le nozze d Figaro im Hofburgtheater – Mozart-Dezember in Wien.

Zum Hören:

Mozart: Klavierkonzert Nr. 25 C-Dur, KV 503 mit Francesco Piemontesi und dem hr Sinfonieorchester unter Manfred Honeck (Alte Oper Frankfurt, 27.3.2015):

https://www.youtube.com/watch?v=mO0tKl3gww4