Das Fürstenschloss im anhaltischen Köthen, Bachs Wirkungsstätte 1717-1723 und auch im Advent 1725 Aufführungsort einer Bachschen Serenata (Foto: Oursana 2012/Public Domain).

Bach in Köthen, 15.12.1725

Am 15.12.1725 endete für Bach und seine Frau Anna Magdalena ein Adventsurlaub am Fürstenhof in Köthen. In Leipzig wartete schon die Vorbereitung des Weihnachtsfestes.

Adventsurlaub in Köthen

Am 15. Dezember 1725 nahmen Johann Sebastian Bach und seine Ehefrau Anna Magdalena am Fürstenhof zu Köthen ein stattliches Honorar entgegen: „Dem Leipziger Cantori Bachen und seiner Ehefrau, so sich allhier etzliche Male hören lassen, 30 Taler.“ So steht in den Kammerrechnungen des Köthener Hofs unter besagtem Datum zu lesen. Wieder einmal hatte Bach seinem früheren Dienstherrn, dem Fürsten Leopold von Anhalt-Köthen, mit einer Serenata zum „Geburtstags-Festin“ am 10. Dezember aufgewartet – mitten im Advent. Schon elf Tage zuvor hatte Anna Magdalena Bach zusammen mit einem aus Gotha angereisten „Vocal-Bassisten“ in einer Cantata ihres Gatten geglänzt, pünktlich zum Geburtstag der neuen Fürstin Charlotte, Leopolds zweiter Gemahlin. Sie war weit weniger „amusa“ als ihre Vorgängerin, die früh verstorbene erste Gattin. Also sang der besagte Bassist mit besonderer Hingabe „Charlotte blüh!“ im Rahmen von Bachs Serenata „Steigt freudig in die Luft“, BWV 36a. Obwohl man diese Serenata allgemein ins Jahr 1726 datiert, mutet es seltsam an, dass der im Folgejahr geborene Erbprinz keine Erwähnung findet. Deshalb ist eine Uraufführung im Advent 1725 wahrscheinlicher. Im Folgejahr machte Bach aus der Köthener Fürstenmusik eine geistliche Adventskantate – „Schwingt freudig euch empor“ in ihrer Urfassung. So hatten auch die Leipziger Kirchgänger an Bachs höfisch galanten Tönen ihre Adventsfreude.

Weihnachtsvorbereitungen in Leipzig

Der wochenlange Köthener Adventsurlaub des Ehepaars Bach wäre weniger ungewöhnlich gewesen, wenn zuhause in Leipzig nicht schon die Vorbereitungen der anstrengenden Weihnachtstage auf den Thomaskantor gewartet hätten. Sechs neue Kantaten hatte er vom 25. Dezember bis zum 6. Januar aus der Taufe zu heben, und zwar an den Hochfesten gleich zweimal: morgens in der einen Hauptkirche, zur Vesper in der anderen. Am ersten Weihnachtsfeiertag drängte sich auch noch die Kantatenaufführung in der Paulinerkirche der Universität dazwischen. Im ganzen Kirchenjahr gab es keinen volleren Terminkalender, und all dies musste erst einmal geprobt werden. Dennoch weilte Bach mit Anna Magdalena seelenruhig für volle zwei Wochen in der alten Wirkungsstätte Köthen und genoss das Musizieren mit seinen alten Kollegen, den hoch virtuosen „Cammer-Musici“ des Fürsten. Während die Thomaner in Leipzig schon nervös wurden, darunter auch seine eigenen Söhne Friedemann, Carl und Bernhard, ließ sich das Ehepaar Bach das höfische Leben in Köthen gefallen – im ständig prachtvoller werdenden Schloss und in der neu erbauten Orangerie mit ihrem Festsaal.

Ein anderes Weihnachtsoratorium

Der Grund, warum Bach seinen Adventsurlaub in Köthen 1725 so ungetrübt genießen konnte, war ein ganz einfacher: Anders als in den ersten beiden Leipziger Jahren hatte er im Sommer keinen neuen Kantatenjahrgang begonnen. So konnte er schon im November alle Weihnachtskantaten in Ruhe vorbereiten, wofür er sich eine ganz besondere Textvorlage herausgesucht hatte. Seit langem gehörte ein 1711 in Darmstadt gedruckter Band mit Kantatentexten zu seiner Sammlung theologischer Schriften. Sein Autor war Georg Christian Lehms, der früh verstorbene Bibliothekar des Landgrafen von Hessen-Darmstadt und begnadete Kantatendichter: 

Gottgefälliges
Kirchen-
Opffer /
In einem gantzen
Jahr-Gange
Andächtiger Betrachtungen /
über
die gewöhnlichen
Sonn- und Festtags-Texte /
Gott zu Ehren / und der Darmstät-
tischen Schloß-Capelle / zu seiner Früh-
und Mittags-Erbauung
angezündet
von
M. Georg Christian Lehms /
Hochfürstl. Hessen-Darmstättischen
Bibliothecario.

Bereits zehn Jahre zuvor hatte Bach für die Weimarer Schlosskapelle zwei Kantatentexte aus diesem Band vertont: „Mein Herze schwimmt im Blut“ (BWV 199) und „Widerstehe doch der Sünde“ (BWV 54). Zu Weihnachten 1725 nahm er sich vor, einen ganzen Lehms-Zyklus zu schreiben, den er lediglich am Sonntag nach Weihnachten um einen Text von Erdmann Neumeister ergänzte. Dieses Vorhaben hat Bach gründlich geplant und mit deutlich mehr Ruhe in die Tat umgesetzt als die ersten beiden Weihnachtszyklen für Leipzig. Dies offenbart schon das Schriftbild der fünf erhaltenen Originalpartituren. (Die Kantate zu Epiphanias ist leider verloren.) Dabei griff er auch auf den ein oder andern Satz aus früheren Werken zurück. 

„Unser Mund sei voll Lachens“, BWV 110

Gleich für den Eingangschor der Kantate zum ersten Weihnachtsfeiertag benutzte er die Ouvertüre zu einer Orchestersuite für drei Oboen, Fagott und Streicher. Er erweiterte diesen prachtvollen Satz mit seinen feierlichen langamen Rahmenteilen und der tänzerisch beschwingten Fuge in der Mitte um vier Singstimmen, zwei Traversflöten, drei Trompeten und Pauken. So entstand der wunderbare Chorsatz „Unser Mund sei voll Lachens“ zum ersten Weihnachtsfeiertag. Es ist kein Zufall, dass ein geradezu fürstlicher Glanz diesen Chorsatz umweht. Bach hatte 1725 nicht nur in Köthen gastiert, sondern im September auch in Dresden am Hof Augusts des Starken und im Februar beim Herzog von Sachsen-Weißenfels seines Schäferkantate BWV 249a aufgeführt. Der Glanz dieser höfischen Ensembles lag ihm an Weihnachten 1725 noch im Ohr. Nach zwei Jahren harten Kantorenarbeit in Leipzig war der Hofmusiker in ihm wieder erwacht. Die Weihnachtskantate BWV 110 gibt davon beredtes Zeugnis ab.

So wie der Eingangschor „Unser Mund sei voll Lachens“ dem „Jauchzet, frohlocket“ kaum nachsteht, was den Glanz der Trompeten und das Jubeln der Sänger anbelangt, so lässt auch die Tenorarie „Ihr Gedanken und ihr Sinnen“ die Hirtenarie aus dem Weihnachtsoratorium schon erahnen, allerdings mit zwei Traversflöten, nicht nur mit einer. Ihre sich verschlingenden Linien lassen das Aufschwingen der frommen Gedanken zum Himmel deutlich vernehmen und dazu die Innigkeit der Krippe: „Er wird Mensch und dies allein, dass wir Himmelskinder sein“. Für das Duett griff Bach auf einen Satz zurück, den er zwei Jahre zuvor als weihnachtliche Einlage in sein Magnificat komponiert hatte: das „Virga Jesse“. Daraus wurde nun ein „Ehre sei Gott in der Höhe“. Und die Bassarie mit Solo-Trompete stellt selbst das „Großer Herr, o starker König“ in den Schatten. Wären die heutigen Konzertveranstalter mutiger, dann hätte es schon längst einmal eine zyklische Aufführung jenes anderen „Weihnachtsoratoriums“ gegeben, das mit BWV 110 so glanzvoll beginnt.

Zum Hören:

Bachs Serenata zum Köthener Geburtstag von Fürstin Charlotte, BWV 36a, rekonstruiert und dirigiert von Alexander Grychtolik mit Solisten und der Mitteldeutschen Hofmusik: 

https://www.youtube.com/watch?v=OeNziPADDVQ

Weihnachtskantate „Unser Mund sei voll Lachens“, BWV 110; Hansjörg Mammel, Tenor; Stephen MacLeod, Bass; Ricercar Consort, Leitung: Pierre Pierlot

https://www.youtube.com/watch?v=ICEy6ppkmP8