Die erste Sängerin der Peri: Livia Frege, die Kaufmannstochter aus Gera, die ihrem Mann zuliebe ihre Opernkarriere aufgab (Porträt von Eduard Magnus).

Die Schumanns in Leipzig, 4.12.1843

Mit seinem Oratorium Das Paradies und die Peri bescherte Schumann den Leipzigern im Advent 1843 sein bislang größtes Werk und seiner Frau Clara die Aussöhnung mit ihrem Vater.

Peritag

Der 4. Dezember 1843 war für Robert Schumann der „Peritag“. Mit der Uraufführung seines ersten Oratoriums Das Paradies und die Peri glückte ihm der Sprung ins erhabenste Genre der Konzertsaalmusik. Es war zugleich sein erfolgreiches Debüt als Dirigent und der erste Schritt zur Versöhnung mit seinem Schwiegervater Friedrich Wieck. Beeindruckt von der öffentlichen Anerkennung für den so lange verfemten Schwiegersohn schrieb der verhärmte Wieck einen versöhnlichen Brief aus Dresden, um die Schumanns an Weihnachten zu sich einzuladen. Den willkommenen Anlass bot die Dresdner Erstaufführung der Peri am 23. Dezember. „Und so ging denn mein sehnlichster Wunsch in Erfüllung. Robert söhnte sich mit dem Vater in Dresden aus, wo wir am 19. hinreisten“. So schrieb Clara erleichtert ins Tagebuch. Weihnachten 1843 wurde für sie wahrhaft zum Fest des Friedens.

Uraufführung im Gewandhaus

Es war alles andere als ein Weihnachtsoratorium, was Schumann am Montag nach dem ersten Advent im Gewandhaus aus der Taufe hob. Der irische Dichter Thomas Moore hatte mit seinem 1817 gedruckten Versepos Lallah Rookh die Vorlage geliefert: die Geschichte einer Peri aus der persischen Mythologie. Die Tochter eines gefallenen Engels und einer Sterblichen möchte unbedingt ins Paradies zurückkehren, doch der Eingang wird ihr verwehrt. Zweimal hofft sie, die „heilige Gabe“ schon gefunden zu haben, die ihr das Tor wieder aufschließen wird, doch vergeblich. Weder das Opfer eines heldenhaften Jünglings im Kampf gegen einen Tyrannen noch die Liebe einer jungen Frau, die ihren pestkranken Freund vor dem Sterben küsst, genügen dem strengen Engel, der über die Pforten wacht: „Viel heil’ger muss die Gabe sein, die dich zum Tor des Lichts lässt ein.“ Erst die Tränen eines reuigen Sünders besänftigen den Himmel und bescheren ihr die Erlösung.

Das Märchenhafte der Handlung und das exotische Flair des Orients, den die Peri im Flug überquert, lassen das Oratorium fremder erscheinen, als es von Schumann gemeint war. Ein Oratorium „nicht für den Betsaal, sondern für heitre Menschen“ wollte er schaffen und erzählte darin die romantische Urgeschichte von der unstillbaren Sehnsucht nach der verlorenen Reinheit. Viele Stellen der deutschen Textfassung gewinnen dank Schumanns poetischer Deklamation eine Intensität, die sie im Ohr haften lassen: „Vor Edens Tor im Morgenprangen / Stand eine Peri schmerzbefangen …“, oder der Anfang des zweiten Teils: „Die Peri tritt mit schüchterner Gebärde vor Edens Tor / Im Herzen Himmelhoffnungsglück.“ Unter die zarten Vorhalte und rührenden Wendungen des Gesangs legt sich die „unendliche Melodie“ des Orchesters, in die Leitmotive verwoben werden. Schumann war hier dem Wagnerschen Musikdrama näher als sonst in seiner Musik, wobei seine ureigenste Lyrik immer wieder dramatischen Höhepunkten Platz macht wie etwa beim Heldentod des Freiheitskämpfers. Die tiefe Sehnsucht nach „Himmelhoffnungsglück“ malte er in den Gesängen seiner Titelheldin so rührend aus, dass man das Erlösungsmärchen der Peri anno 1843 durchaus als Einstimmung auf Weihnachten anhören konnte.

Livia Frege

Musikalisch war die Uraufführung ein Fest der Stimmen und des Orchesters, mehr noch die zweite Aufführung am 11. Dezember. Schumann absolvierte sein Dirigentendebüt „schön, mit so ruhiger Haltung“, wie Clara Schumann notierte. Das Orchester spielte meisterlich, so dass „die herrliche Instrumentation“ jedermann entzückte. „Der ganze Chor leistete das Schönste, Alles sang mit Leib und Seele.“ Den größten Anteil am Erfolg aber hatte Livia Frege in der Titelrolle. Clara war restlos hingerissen: „Das Publikum konnte sich nicht enthalten, ihr den lautesten Beifall zu spenden … Habe ich mir je eine schöne Stimme gewünscht, so war es jetzt! Was hätte ich darum gegeben, die Peri singen zu können.“ 

Clara konnte die besondere Leistung der Livia Frege besser beurteilen als alle anderen. Die Kaufmannstochter aus Gera hatte ihr Konzertdebüt im Gewandhaus 1832 gegeben – im zarten Alter von 14 Jahren in einem Konzert der 13-jährigen Clara Wieck. Seitdem waren die beiden Frauen befreundet. Als Livia den Leipziger Kaufmann Dr. Frege heiratete und ihm zuliebe auf ihre gerade begonnene Opernkarriere verzichtete, wusste Clara das Opfer der jungen Frau am besten einzuschätzen. Sie selbst tat sich schwer genug damit, ihre Karriere als Pianistin trotz aller häuslichen Pflichten weiter voranzutreiben. Umso aufmerksamer lauschte sie den raren Liedauftritten der Freundin wie etwa bei der Abschieds-Soiree für Felix Mendelssohn am 24. November 1843. Das Genie der deutschen Romantik siedelte (vorübergehend) nach Berlin über. Clara notierte: „Er schien sehr betrübt und wehmütig von Leipzig zu scheiden, spielte noch einige Sonaten von Beethoven wundervoll, Frau Dr. Frege sang auch noch (wie es schien, mit schwerem melancholischen Herzen) einige Lieder von Mendelssohn.“ Robert Schumann verewigte die junge Sängerin als „Gulietta“ in seinem Klavierzyklus „Davidsbündlertänze“ (eine Hommage an ihre Opernrolle in Bellinis Capuleti e Montecchi). 1843 schrieb er ihr die Titelpartie der Peri auf den Leib.

Weihnachten in Dresden

Nicht ganz so vollendet fiel das Dresdner Weihnachtskonzert mit Schumanns Oratorium aus: „Robert hatte vom Intendanten des Theaters Herrn v. Lüttichau die Aufforderung erhalten, seine Peri im 23. im Armenconcert im Theater aufzuführen, was denn auch geschah, freilich so gut als in Leipzig war die Aufführung nicht. Die Mitwirkenden bestanden in Theatermitgliedern, welche froh sind, wenn sie nicht zu singen brauchen, sich also auch gar nicht bemühen in ein Werk einzudringen. Madam Kniete sang die Peri gut, doch nicht mit dem edlen Gefühl wie die Frege …“. Trotz der kritischen Töne war Clara voller Dankbarkeit für den „reichen Beifall“, den die Dresdner ihrem Mann als Komponisten und Dirigenten spendeten.

Am meisten freute sie sich über die Versöhnung zwischen Ehemann und Vater unter dem Christbaum: „Den 24. wohnten wir der Bescherung bei‘m Vater bei, wo auch wir reichlich bedacht waren.“ Die Schumann-Kinder hatten daheim in Leipzig bleiben müssen. „Recht viel dachte ich an meine lieben Kinder, denen ich die Bescherung aufheben mußte“. Doch die kleine Marie und ihre Schwester Elisabeth mussten sich nur ein paar Tage gedulden: „Den 31. December bescherten wir zur besonderen Freude Mariechens, die selig war. An solchen Tagen fühlt man so recht den Segen von Gott in solchen Kindern, wie wir sie besitzen.“

Zum Hören:

Robert Schumann: Das Paradies und die Peri, op. 50

https://www.youtube.com/watch?v=2zV7lMykY-A

Julia Kleiter (Peri), Gerhild Romberger, Maximilian Schmidt u.a. | Collegium Vocale Gent, hr-Sinfonieorchester | Leitung: Philippe Herreweghe