Kaiserkrönung unter Trompetenschall und festlichem Gesang: Die Krönung Karls VI. in der Stiftkirche Sankt Bartholomäus zu Frankfurt am 22.12.1711 (Stich aus dem Krönungsdiarium, Ausschnitt).

Krönung in Frankfurt 1711

Am 6. Dezember 1711 traten die Vorbereitungen zur Kaiserkrönung Karls VI. in Frankfurt am Main in ihre heiße Phase: Aus Wien traf der Oberhofmarschall ein, während die Hofkapelle mit den Proben begann.

Nikolaustag in Frankfurt

von Karl Böhmer

Im Advent 1711 hatten die Bürger der Stadt Frankfurt am Main nur ein Gesprächsthema: die Kaiserkrönung Karls VI. am 22. Dezember. Während der bereits gewählte Monarch auf seiner weiten Reise von Barcelona über Mailand nach Frankfurt noch nicht in Deutschland angekommen war, füllte sich die Mainmetropole bereits mit erlauchten Gästen. Am zweiten Adventssonntag, der mit Nikolaus zusammenfiel, traten die Vorbereitungen in ihre heiße Phase: Der Kaiserliche Oberhofmarschall traf ein. „Dero sämtliche Hoffhaltung“ aus Wien hatte sich schon in den Tagen zuvor am Main eingefunden, darunter auch die Kaiserliche Hofkapelle. Nur noch gut zwei Wochen blieben den Wiener Musikern, um die Messe zur Salbung und Krönung des neuen Kaisers einzustudieren.

Kaiserkrönung vor Weihnachten

Wer jemals die TV-Bilder von der Krönung der Queen 1953 in Westminster Abbey gesehen hat, wird den Moment ihrer Salbung kaum vergessen können: Unter den Klängen von Händels Coronation Anthem „Zadok the priest“ bereitete der Erzbischof von Canterbury die Salbung vor, während die Königin ihr einfaches weißes Gewand anlegte. So war es bei jeder englischen Königskrönung seit 1727, und so wird es wieder sein, wenn am 6. Mai Charles III. zum König gekrönt wird.

Der gleiche Text, den Händel zur Salbung des britischen Monarchen anno 1727 so unvergesslich vertont hat, erklang auch bei der Salbung Kaiser Karls VI. in der Stiftskirche St. Bartholomäus zu Frankfurt am 22. Dezember 1711. Für den Habsburger, der am 12. Oktober zum römischen König gewählt worden war, musste der Text natürlich in lateinischer Sprache gesungen werden – als Teil einer katholischen Krönungsmesse. Während der Erzbischof von Mainz, Lothar Franz von Schönborn, den Kaiser salbte, intonierten die Sänger der Kaiserlichen Hofkapelle: „Unxerunt Salomonem Sadok Sacerdos & Nathan Prophetae in Zion & ambulantes laeti dixerunt: Vivat Rex in aeternum! Alleluja!“ („Der Priester Zadok und der Prophet Nathan salbten Salomon zum König, und das ganze Volk freute sich und sprach: Möge der König ewig leben. Halleluja!“)

Die Musik dieses Responsoriums stammte wahrscheinlich vom Kaiserlichen Vizekapellmeister Marc’Antonio Ziani. Die Wiener Hofkapelle sang es auf einer Musikerempore, die eigens zum Ereignis direkt hinter der Vierung errichtet wurde, quasi über dem Krönungsakt. Im aufwendig gedruckten Diarium der Wahl- und Crönungs-Solennitaeten Caroli VI. zeigt ein großer Kupferstich die Sänger, Streicher, Oboisten und Lautenisten, wie sie auf der Empore das „Vivat Rex“ anstimmen, während unten dem Kaiser die Krone Ottos des Großen aufs Haupt gesetzt wird. Der Lautenist dieses Ensembles war der berühmte Francesco Conti, der in Wien auch als Opernkomponist hervortrat. Unter den Geigern befand sich Nicola Matteis, der unter Karl VI. die Wiener Ballettmusiken komponierte.

Erst drei Tage vorher hatte der gewählte, aber noch nicht gekrönte Kaiser zusammen mit den Kurfürsten seinen feierlichen Einzug gehalten – mit Hunderten von Pferden, Dutzenden von Kutschen und einem Heer von Trompetern und Paukern, deren Fanfaren durch die engen Straßen Frankfurts schallten. Der Zug führte zur Bartholomäuskirche, wo der Bischof von Wiener Neustadt die Hl. Messe zelebrierte, bevor am Ende „der Hymnus Ambrosianus unter Trompeten und Paucken-Schall musicaliter intoniret wurde.“ Auch dieses Te Deum wurde von der kaiserlichen Hofkapelle gesungen. Die Musik war bei diesem staatstragenden Ereignis allgegenwärtig.

Festmusiken aus Düsseldorf und Wien

Eigentlich wäre es die Aufgabe des Erzbischofs und Kurfürsten von Mainz gewesen, die Kaiserwahl und -krönung mit seiner eigenen Hofmusik zu bestücken. Denn als Erzkanzler für Deutschland fungierte Lothar Franz von Schönborn als Wahlleiter und als Consecrator. Weil aber „Seine Churfürstl. Gnaden zu Maÿntz damahlen genugsame Musicanten nicht zur Hand gehabt“, bat Schönborn den Kurfürsten von der Pfalz als Reichsvikar die Musik zur Kaiserwahl zu übernehmen, während die Wiener Hofmusiker zur Krönung anreisten. Die pfälzische Hofkapelle aus Düsseldorf traf am 23. September 1711 per Schiff in Frankfurt ein, bestehend aus 53 Musikern! Der Kurfürst von Mainz dagegen brachte nur neun Trompeter und Pauker, den Kastraten Michael Schmidts, den Cammermusicus Carl Sinobat Twornwiel und den berühmten Geiger Johann Jacob Walther nach Frankfurt mit – ein geradezu beschämender Kontrast.

Lothar Franz konnte sich zumindest auf die musikalischen Beiträge seiner Neffen verlassen. Der spätere Würzburger Fürstbischof Johann Philipp Franz von Schönborn und sein Bruder, der Wiesentheider Graf Rudolph Franz Erwein, wurden bei der Kaiserwahl mit wichtigen Funktionen betraut. Ersterer liebte die italienische Musik abgöttisch, Letzterer sammelte als begeisterter Cellist damals schon Cellokonzerte von Vivaldi. Vielleicht hat er sie bei informellen Treffen seines Oheims am Rande der Kaiserwahl zum Besten gegeben, so etwa beim Besuch des Kurprinzen von Sachsen am 3. September – seinerseits ein Vivaldi-Liebhaber. Mehr als eine kleine Randspalte zur großen Krönungsmusik hatten die Schönborns freilich nicht zu bieten, der Onkel aus Mainz schon gar nicht.

Krönungsmahl im Römer

Am Krönungstag zwei Tage vor Heiligabend riss die musikalische Prachtentfaltung nach der Krönungsmesse nicht ab. Es folgte der umjubelte Zug des neuen Kaisers zum Römer – genau auf jenem „Königsweg“, den die Frankfurter bei der Rekonstruktion ihrer Altstadt vor ein paar Jahren wieder errichtet haben. Unter einem Baldachin und Trompetenschall schritt der Neugekrönte durch die Masse der dicht gedrängten Schaulustigen. Erst beim Krönungsmahl im Römer erwartete den jungen Kaiser eine Stärkung für seine strapazierten Nerven. „Auff jedem Tisch ist 3 mahl, und zwar allemahl 12 bis 13 Speisen unter Paucken und Trompeten-Schall aufgetragen worden“, so steht im Krönungsdiarium zu lesen. „Währendem Mahl ist eine fürtreffliche Tafel-Musique von der Kaiserlichen Hoff-Capell gehalten / auch dazwischen Trompeten und Paucken gehöret worden.“ Angesichts der Aufgabenteilung am Kaiserhof ist es wahrscheinlich, dass diese weltliche Tafelmusik vom Hofkomponisten Johann Joseph Fux stammte. 1701 hatte er zu Ehren des verstorbenen Bruders von Karl VI. seinen Concentus Musico-Instrumentalis im Druck herausgebracht, eine Sammlung von Orchestersuiten, die durchaus kaiserliche Pracht entfalten.

Heiligabend in der Liebfrauenkirche

Zwei Tage nach dem kräftezehrenden Krönungstag war Heiligabend, den der neue Kaiser als frommer Katholik in der gebührenden Weise beging: „Den Heil. Christ-Abend haben ihre Kayserl. Majest. in der / ohnfern Dero Palais stehende Liebfrauen Kirchen in Begleitung Dero Hoff-haltung und Gardes sich begeben / und daselbst unter einer angenehmen Music Dero hohe Andacht verrichtet.“ Am ersten Feiertag fuhr man wieder zur Hl. Messe in den heutigen Frankfurter Dom: „Den 25. Decembris, als auf den Heil. Christ-Tag / seynd Ihro Kaserl. Majest. Morgens gegen 11 Uhr unter Begleitung Dero Ministern, Hatschier- und Trabanten-Garde zu St. Bartholomäi Stifftskirchen gefahren / und haben daselbst dem Gottesdienst / unter einer fürtrefflichen Music andächtigst beygewohnet.“ Dass der neue Kaiser die Musik über alles liebte, ist den Frankfurtern nicht entgangen, wie das Diarium verrät. Als der neue Kaiser vier Jahre später in Wien den Steirer Johann Joseph Fux zu seinem Hofkapellmeister ernannte, trat die Kaiserliche Hofkapelle in eine Glanzzeit ein, die sie unter der Regierung seiner Tochter Maria Theresia nie mehr erreichen sollte. 

Weil Kaiser Karl VI. die Musik von Fux so liebte, die Krönungsmusiken von Ziani aber nicht in Aufnahmen zu greifen sind, besteht die Musik zu diesem Adventskalenderblatt aus Fuxschen Werken: sein festliches Te Deum von 1704, das in Frankfurt durchaus erklungen sein könnte, und sein Concentus von 1701, vielleicht die Tafelmusik beim Krönungsmahl im Römer.

Zum Hören:

Johann Joseph Fux: Te Deum (1704) – Ensemble 1704, Václav Luks

https://www.youtube.com/watch?v=X3NiCjQWU-o

Johann Joseph Fux: Concentus musico-instrumentalis (1701) – Armonico Tributo Austria, Lorenz Duftschmid

https://www.youtube.com/watch?v=OMA67OJvMQ0