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Regina Mingotti anno 1760 in Paris, gezeichnet von Charmontel. 

Advent in München, 21.12.1766

Am 21.12.1766 feierte Regina Mingotti in München den vierten Advent und bereitete sich auf ihr sechstes Weihnachtfest in der bayerischen Hauptstadt vor.

Regina Mingotti 1766 in München

von Karl Böhmer

Wieder eine Karnevalsoper, wieder die Strapazen der Bühne und die Herausforderungen einer großen Opernpartie: Mit ihren 44 Jahren hatte sich Regina Mingotti das Weihnachtsfest im Kreis ihrer Liebsten eigentlich geruhsamer vorgestellt. Doch die berühmteste Primadonna Europas sollte auch im Münchner Fasching 1767 nicht zur Ruhe kommen. Dafür sorgte ihre große Gönnerin, Kurfürstin Maria Anna von Bayern, die das „Regerl“ seit den gemeinsamen Jahren in Dresden nicht wie eine Sängerin behandelte, sondern wie eine enge Freundin. Zu gerne sah sie die Mingotti auf der Bühne des Münchner Cuvilliéstheaters, und weil die Sängerin dort Ende August am Geburtstag der Kurfürstin im Endimione von Guglielmi so über die Maßen geglänzt hatte, war der Kurfürst auf die Idee gekommen, diese Oper mit der neuen Karnevalsoper des großen Tommaso Traetta zu vergleichen. In beiden Werken trat die Mingotti als Mann verkleidet auf: im Endimione als junger Schäfer, in den sich die Jagdgöttin Diana verliebt, und im Siroe in der Rolle der rachsüchtigen Prinzessin Emira, die sich in der Camouflage eines Höflings bei ihrem Erzfeind einschleicht, König Cosroe von Persien.

Erinnerungen an Graz

Persische Geschichte und griechische Mythologie waren nicht gerade fromme Gegenstände der Betrachtung für eine gläubige Christin im Advent, doch schon in ihrer Grazer Jugendzeit hatte Regina gelernt, zwischen der frommen Musik des Ursulinenklosters, in dem man ihr das Singen beibrachte, und den exotischen Opernaufführungen am Grazer Tummelplatz zu trennen. Jedes Jahr zur Weihnachtszeit dachte sie besonders sehnsüchtig an Graz zurück: an die Sackstraße, wo neben dem Kloster der Ursulinen das große Palais Attems emporragte, und an die Herrengasse, wo sie bei ihrem Onkel, dem Stadtpfarrer Dr. Kursky, aufgewachsen war. Kaum ein Jahr nach ihrer Geburt in Neapel hatte sie die Mutter zum Bruder nach Graz geschickt, damit er dem Regerl eine standesgemäße Erziehung zuteil werden lasse. Der Onkel schloss seine Nichte dermaßen ins Herz, dass er sie wie eine Tochter aufzog. Bei den Ursulinen, den Schulschwestern, wusste er sie in besten Händen, und dort geschah es, dass Regina in der schönen kleinen Barockkirche mit dem prachtvollen Hochaltar die Schönheit des Gesangs für sich entdeckte. Sie ging zur Mutter Oberin und bat sie um Gesangsunterricht, welcher ohne Tasteninstrument erteilt wurde. So lernte Regina die perfekte Intonation im Singen, die sie lebenslang auszeichnen sollte. Alles andere – die Koloratur und das Cantabile, das Italienisch und die opernhafte Gestik – kam viel später hinzu, als sie in die Truppe des berühmten Prinzipals Pietro Mingotti eintrat. 1746 hatte sie den Venezianer in Hamburg geheiratet. 44 war er damals und sie erst 24. Unter dem Namen Mingotti wurde die junge Grazerin Regina Valentin zur europäischen Berühmtheit, gefeiert von London bis Neapel, von Paris bis Madrid.

Zufluchtsort München

All dies war anno 1766 schon Geschichte: Ihr Mann war 1759 gestorben, mit einem anderen, dem Grafen Piosasque, hatte sie zwei Kinder gezeugt, die sie nun in München großziehem konnte. Dies hatte sie der bayerischen Kurfürstin Maria Anna zu verdanken, die sie 1760 aus höchster Not in Paris gerettet und ihr in Bayern Asyl geboten hatte. Denn all die traumhaften Gagen, die sie in Dresden, Neapel und Madrid verdient hatte, steckte sie 1754 in eine Seifenfabrik im französischen Bordeaux, wo fast ihr ganzes Geld versandete. Vom Eigentümer und seinen Erben erhielt sie nur 12.000 ihrer 37.000 Louisdor zurück. Nach heutiger Kaufkraft verlor sie ein Vermögen. Auch deshalb musste Regina Mingotti jenseits der 40 immer wieder auf der Bühne singen: um Geld zu verdienen. Sogar nach London war sie 1763/64 noch einmal zurückgekehrt, was ihrer Stimme nicht gut bekommen war. DIe bayerische Luft war eindeutig gesünder als der englische Nebel, und auch das kulturelle Klima in München ließ ihre Stimme in den letzten Jahren wieder aufblühen.

Traetta und Bernasconi

Nun also Traetta, der berühmte Neapolitaner, der durch seine verwegenen Dramen für Parma und Wien der Oper eine völlig neue Richtung gegeben hatte. Der bayerische Kurfürst Max III. Joseph war zwar seiner Linie treu geblieben und hatte Traetta mit der Vertonung eines Traditionslibrettos von Metastasio beauftragt. Doch der Mingotti zuliebe hatte man den hochdramatischen Siroe gewählt – ein Drama, das sie in Dresden, Madrid und London in den unterschiedlichsten Vertonungen gesungen hatte und von daher  in- und auswendig kannte. Eine so erregte Arie wie „Che furia, che mostro“ von Traetta war ihr dabei noch nicht untergekommen. Alles daran war „Sturm und Drang“, die Musik einer neuen Zeit. Offenbar hatte Traetta die leidenschaftliche, kämpferische Seite seiner Primadonna erkannt und brachte sie hier kompomisslos zum Ausdruck. Auf der Bühne wie im wirklichen Leben war Regina Mingotti keine sanfte, träumerische Engelsnatur, sondern eine männlich selbstbewusste, kraftvoll auftretende Erscheinung.

Wie viel milder, wie viel edler hatte zwei Jahre zuvor der Münchner Kapellmeister Bernasconi die Gefühle der (ebenfalls als Mann verkleideten) Königin Semiramis von Babylon zum Ausdruck gebracht. Nicht ohne Stolz dachte Mingotti an den Abend zurück, als sie im Cuvilliéstheater die Hochzeitsoper für den römischen König Joseph und seine bayerische Braut in einen einzigen Triumph der Primadonna verwandelt hatte – am schönsten im Es-Dur-Cantabile des zweiten Aktes, „Ah non è vano il pianto“. 

Mariengesang aus Dresden

Das wahre Cantabile, das Tragen der Stimme in schier endlos langen Phrasen, hatte Regina 20 Jahre zuvor vom alten Maestro Porpora in Dresden gelernt. Und obwohl sie sich damals mit dem großen Hasse, dem Hofkapellmeister des sächsischen Kurfürsten, wahre Intrigen-Duelle geliefert hatte, hing ihr Herz noch immer gerade an seiner Musik. Keiner verstand so gut, die Stimme in den süßesten Wendungen durch unendliche Melodien zu lenken, wie Hasse. Deshalb hatte sie seine Arien immer und immer wieder gesungen – in Dresden, in London, in Madrid, in München. Hasses Oratorien wie auch seine Kirchenmusik waren für sie unvergängliche Meisterwerke. Auch an jenem vierten Advent wurde es höchste Zeit, eine Perle der Hasseschen Kirchenmusik hervorzuholen und für das Weihnachtsfest aufzufrischen: Alma Redemptoris Mater, die schmelzend schöne Marien-Antiphon zum Weihnachtsfest.

Zum Hören:

Traetta: „Che furia, che mostro“ aus Siroe (München, Karneval 1767)
Vivica Genaux, Lautten Compagney Berlin, Leitung: Wolfgang Katschner
https://www.youtube.com/watch?v=r9wgHEpeNj0

Bernasconi: „Ah non è vano il pianto“ aus dem Semiramide (München, Karmeval 1765)
Anna Bonitatibus, National Philharmonic Orchestra of Russia, Leitung: Nicola Giuliani
https://www.youtube.com/watch?v=E3dbjKzUIiU

Hasse: „Virgo prius“, aus dem Alma redemptoris mater
Clint von der Linde, Les Muffatti
https://www.youtube.com/watch?v=DgvldKUP2Ms