Santa Claus aus Landau
Ob Präsident Trump in seiner Jagd auf alle Immigrants auch vor Santa Claus nicht Halt machen wird? Die populärste Figur der amerikanischen Weihnachtskultur ist die Erfindung eines pfälzischen Einwanderers aus Landau.
Santa Claus aus Landau
von Karl Böhmer
Die Wahrscheinlichkeit, dass deutsche Kinder heute Nacht mit einem Schokoladen-Nikolaus beschenkt werden, wie es früher üblich war, ist denkbar gering. An seinem morgigen Gedenktag hat der Heilige Bischof Nikolaus von Myra längst ausgedient. Santa Claus hat ihn verdrängt: rote Zipfelmütze statt der Mitra, Jacke statt Bischofsmantel, Glöckchen statt Hirtenstab. Schuld daran ist ein Einwanderer aus Landau, der zum ersten großen Karikaturisten der USA wurde: Thomas Nast.
Eine pfälzische Erfindung, bestellt von Präsident Lincoln
„Nast wird 1840 in Landau geboren. Im Alter von sechs Jahren wandert er mit seiner Mutter und seiner Schwester in die USA aus, um den ärmlichen Verhältnissen in der Heimat zu entfliehen. Sein Vater folgt vier Jahre später nach New York. Thomas hat große Schwierigkeiten mit der Eingewöhnung und vor allem der Schule. Aber schon bald wird sein großes Talent als Zeichner erkannt. Er nimmt Unterricht – und bewirbt sich als 15-Jähriger um einen Job bei der New Yorker Wochenzeitschrift Frank Leslies’s Illustrated Newspaper. Sein Mut wird belohnt, er bekommt den Job. Es ist der Beginn einer atemberaubenden Karriere, auf deren Höhepunkt Nast nur etwas weniger als der US-Präsident verdient. Bei Harper’s Weekly, für die er später arbeitet, entwickelt er seine wohl berühmteste Figur: den Santa Claus. Präsident Abraham Lincoln hatte 1862 den Herausgeber der sehr populären Zeitung persönlich gebeten, ein besonderes Weihnachtsbild für die Titelseite anzufertigen. Nast tauscht sich mit seiner Schwester aus, die Lehrerin in New York ist. Gemeinsam erinnern sie sich an ihre Kindheit in Deutschland. Heraus kommt ein Weihnachtsmann, der als Santa Claus bis heute die Vereinigten Staaten und inzwischen auch viele andere Länder zu Weihnachten erfreut." {deutschland.de)
Mit seiner Mischung aus Nikolaus und Weihnachtsmann hat der Pfälzer Nast den Zeitgeist gleich mehrfach getroffen. Zum einen wollte Präsident Lincoln den Familien der Yankee-Soldaten im Sezessionskrieg zu Weihnachten eine populäre Figur schenken, die in ihrem winterlichen Erscheinungsbild unverkennbar den Norden der USA verkörperte. Zum anderen illustrierte Nast mit seiner Zeichnung das beliebteste Nikolaus-Gedicht der Amerikaner: A Visit from St. Nicholas von Clement Clarke Moore aus dem Jahre 1823. „Santa Claus“ war also die Erfindung eines romantischen Dichters, der 1779 in New York geboren wurde, und eines armen Einwandererkindes, geboren 1840 in Landau. Der dritte Vater des heutigen Santa Claus war der Kinderbuchautor Lyman Frank Baum, geboren 1856 im Staat New York und berühmt als Erfinder des Zauberers von Oz. Mit seinem Buch The Life and Adventures of Santa Claus schuf Baum 1902 einen weiteren Kinderbuch-Klassiker der USA. Kids im ganzen Land begannen, den gemütlichen Alten mit dem Rauschebart und der Zipfelmütze zu lieben.
Santa Claus wird zum Marketing-Star
Nach der Jahrhundertwende entdeckten die Werbefachleute das ökonomische Potential von Santa, wie das Satiremagazin Puck in seiner Weihnachtsausgabe von 1905 schon deutlich vor Augen führte: eine elegante Lady im festen Griff von Santa Claus. 1912 erschien der erste Santa auf der Kino-Leinwand, 1937 öffnete eine Santa School ihre Pforten – zur fachgerechten Ausbildung der Straßen-Santas. Zum Big Business wurde der gemütliche Alte aber erst, als ihn die Coca-Cola-Company in den Dreißigern für ihre Weihnachtswerbung entdeckte. Pepsi-Cola zog in den Vierzigern nach. Immer gewaltiger wurden die Vorstellungen vom Spielzeug-Paradies, aus dem er die weihnachtlichen Gaben für die Kinder auf seinen Schlitten packt. Parallel dazu nahm der Stress für amerikanische Eltern, ihren Kindern auch wirklich alle Wünsche an Santa zu erfüllen, stetig zu.
Derweil arbeiteten die US-Companies daran, wie sie das Modell „Christmas Shopping“ ins Nachkriegs-Europa exportieren konnten. Santa Claus spielte dabei eine Schlüsselrolle. Den traditionellen Nikolaus durfte man im christlich geprägten Deutschland als Gegenspieler nicht unterschätzen, konnte sich aber auf die deutsche Tradition vom „Weihnachtsmann“ berufen. Während deutsche Kinder noch brav ihren Wunschzettel ans Christkind schrieben, hatte die Shopping-Ikone Santa Claus längst zum Sprung über den Atlantik angesetzt.
Silver Bells – ein Santa Song von 1950
Wie eng die amerikanischen Vorstellungen vom Christmas Shopping mit der Gestalt des Santa verknüpft sind, zeigt die Geschichte eines populären amerikanischen Weihnachtsliedes aus dem Jahre 1950: Silver Bells. Sein Refrain lautet:
Silver bells, silver bells, it’s Christmas time in the city.
Ring-a-ling, hear them ring, soon it will be Christmas day.
Silberglöckchen, Silberglöckchen, es ist Weihnachtszeit in der City.
Hör, wie sie klingen, bald wird es Weihnachten sein.
Es sind die Silberglöckchen der Santas, die hier durch die Straßen von New York klingen, während das Christmas Shopping seinen Höhepunkt erreicht. Das Songwriter-Duo Ray Evans und Jay Livingston schuf diesen langsamen Walzer mit seiner süßlichen Melodie 1950 für einen Hollywoodfilm, in dem es genau darum geht: Santa als Herr über das Christmas Shopping. So unschuldig Melodie und Text auch daherkommen: Sie passten genau in die Zeit, als die amerikanische Wirtschaft boomte und die Menschen fünf Jahre nach Kriegsende das Leben im Shoppingrausch genießen wollten. Wie heißt es so schön in der letzten Strophe?
This is what Christmas time meens to me:
Strings of streetlights,
Even stop lights
Blink a bright red and green,
As the shoppers rush home with their treasures.
Hear the snow crunch,
See the kids rush,
This is Santa’s big scene,
And above all this buzzle you‘ll hear:
Silver bells, silver bells …
Nahtlos könnte man diese Verse auf das heutige Europa übertragen: „Das ist es, was die Weihnachtszeit für micht bedeutet: Die Straßenbeleuchtung sendet ihre hellen Strahlen aus [nicht etwa der Stern von Bethlehem]. Sogar die Ampeln blinken in den Weihnachtsfarben Rot und Grün, während die Shopper ihre Schätze nachhause tragen. Man hört den Schnee knacken, man sieht die Kinder spielen: Santa Claus hat seinen großen Auftritt. Und über diesem ganzen Stadtgewimmel hört man sie klingeln: die Silberglöckchen der Santas.“
Fundraising mit Glöckchen
In New York bimmelten die Santas seinerzeit an jeder Straßenecke, aber nur mit einer „licence“, einer polizeilichen Genehmigung, denn sie waren staatlich zugelassene „Fundraiser“: Sie sammelten für einen guten Zweck. Als Bob Hope und Marilyn Maxwell im Film The Lemon Drop Kid den gerade erst veröffentlichten Song auf die Leinwand bannten, zogen sie durch die verschneiten Straßen von New York, mitten durch den „Buzzle“ der Shopper und die spielenden Kinder hindurch. Plötzlich wird Bob Hope im Santa-Kostüm von einem Wachtmeister angehalten, der ihn festnehmen möchte, bis er unter dem Kostüm seine Licence vorzeigt. Zu Beginn der Szene belehrt das Liebespaar einen mürrischen Santa, wie man das Lied singen muss, um Geld in die Sammelbüchse zu bekommen: „Du musst an deinen Gefühlen arbeiten, sei subtil, delikat.“ Bob Hope lässt die Glöckchen klingen, und Marilyn Maxwell stimmt ihn an, den City Christmas Song Silver Bells:
City sidewalks, busy sidewalks, dressed in holiday style,
In the air there’s a feeling of Christmas.
Im Deutschen klingt das eher prosaisch:
Überfüllte Gehwege in der Stadt, geschmückt im Festtagsstil,
In der Luft liegt ein Gefühl von Weihnachten.
Silver Bells auf dem Schreibtisch
Um sich in Weihnachtsstimmung zu versetzen, mussten die beiden Hollywood Stars anno 1950 hart arbeiten: Gedreht wurde schon im Juli und August. Trotzdem wurde der Film zum Fest nicht rechtzeitig fertig und kam erst im März 1951 in die Kinos. Es lag noch immer genügend Schnee, um sich an das schöne Weihnachtsfest zu erinnern. Schneller waren Bing Crosby und Carol Richards, die ihre Schallplattenversion des Songs bereits im September 1950 einspielten. Decca brachte die Platte schon im Oktober heraus, rechtzeitig fürs Weihnachtsgeschäft.
2005 erzählte der damals schon 91-jährige Ray Evans, wie es dazu kam. Er und sein Komponistenfreund Jay Livingston wurden von den Paramount Pictures nur jeweils für sechs Monate engagiert: Jedes halbe Jahr entschieden die Studios, ob sie einen neuen Song kaufen wollten oder nicht. Im Sommer 1950 lag noch keine Anfrage vor, und die beiden wurden leicht nervös, denn sie hatten ihre Familien zu ernähren. Da kam der Auftrag, für den Film The Lemon Drop Kid einen Christmas Song zu schreiben: „Wir hatten keine Lust darauf, weil wir idiotischerweise der Meinung waren, es gäbe schon viel zu viele Christmas Songs. Gott sei Dank haben wir uns geirrt. Der Song hat sich auf Schallplatte mehr als 500 Millionen Mal verkauft und uns ganz anständige Tantiemen beschert,“ erinnerte sich Ray Evans voller Dankbarkeit. Die Inspiration zu dem Text kam ihm durch eine kleine Tischglocke, die auf seinem Schreibtisch stand. Sie erinnerte ihn an die Glöckchen, mit denen die Santas an den Straßenecken für ihren guten Zweck warben …
Zum Hören und Schauen:
Bob Hope und Marilyn Maxwell singen im Film The Lemon Drop Kid den Song Silver Bells in den Straßen von New York: