Der Berliner Celloprofessor Jens Peter Maintz spielte Brahms' erste Cellosonate am 3. April an der Nahemündung in Bingen.

Brahms 1862 an der Nahe

Drei wundervolle Sommerwochen verbrachte Johannes Brahms 1862 mit seinem Freund Albert Dietrich in Ebernburg an der Nahe. Ergebnis: die erste Cellosonate in e-Moll.

Im Schatten der Ebernburg

„Jetzt sitze ich in einem Wirtshaus an der Nahe, unter der Ebernburg, wo Franz von Sickingen starb und Ulrich von Hutten schrieb. Dietrich im nächsten Zimmer, wo er seine Braut bearbeitet. Diese Braut ist nämlich eine Ballade für Chor und Orchester. Ich denke leider keine Noten, sondern genieße vollauf Luft und Freiheit.“

Mit diesen Briefzeilen verkündete der junge Brahms seinem Geigerfreund Joseph Joachim die Ankunft im Nahetal. Dort war er mit seinem Komponistenfreund Albert Dietrich am 10. Juni 1862 eingetroffen, am Dienstag nach Pfingsten. Die Feiertage hatten die Freunde beim Niederrheinischen Musikfest in Köln verbracht. Nun war Sommerfrische angesagt, denn Clara Schumann kurte in Bad Münster am Stein. Eine schönere Landschaft hätten sich die Freunde für ihren wohl verdienten Urlaub nicht wünschen können. Sie blieben bis zum 29. Juni, fast drei Wochen lang, und natürlich begann auch Brahms alsbald wieder, „Noten zu denken“.

Im ersten Band seiner großen, vierbändigen Brahms-Biographie ist Max Kalbeck ausführlich auf jene Sommerwochen an der Nahe eingegangen: „An das Kölner Musikfest schloss sich ein längerer Aufenthalt im romantischen Nahetal bei Münster am Stein. Dort hatte Frau Schumann mit ihren Kindern Wohnung genommen, um die Solbäder zu gebrauchen. Brahms und Dietrich bezogen eine Viertelstunde weiter talaufwärts direkt unter der auf steilem Felsen thronenden Ebernburg, eine geräumige Wohnung und hielten gemeinschaftlich Haus.“ 

Dass Brahms in seinem Brief an Joachim auf Sickingen und Hutten, die Helden der Reformation, zu sprechen kam, ist bezeichnend. Große Historie und schöne Landschaft verbanden sich für den jungen Hamburger an der Nahe zu einer doppelten Inspiration, die sich alsbald in der e-Moll-Cellosonate niederschlug. „Im Schatten der alten Veste Franz von Sickingens“ hat Brahms den ersten Satz seiner e-Moll-Cellosonate entworfen und am f-Moll-Quintett op. 34 gearbeitet, noch in der Urfassung als Streichquintett mit zwei Celli. Der Klang des Cellos hatte es ihm in jenem Sommer besonders angetan.

Konzerte bei Frau Schumann in Bad Münster am Stein

Wie jene „Ebernburger Frühsommertage“ abliefen, hat Albert Dietrich in einem Brief an seine Frau festgehalten: „An den Vormittagen wurde fleißig gearbeitet. Brahms und Dietrich komponierten, Frau Schumann übte. Nachmittags musizierten sie, wenn sie nicht zusammen eine Tour in die schöne Umgebung machten, miteinander nach Herzenslust. Jeder Tag endete mit einem musikalischen Abend bei Frau Schumann.“ (Kalbeck) Dabei wurde ausschließlich am Klavier musiziert, auch Kammermusik von Brahms in vierhändigen oder zweihändigen Fassungen. Dietrich berichtete: „Frau Schumann spielte uns eine große Sonate von Schumann vor, dann spielte sie mit mir das Sextett von Brahms“ – also das B-Dur-Streichsextett in vierhändiger Fassung. „Zuletzt spielte Brahms aus seinen großen Quartetten und anderes.“ Das g-Moll-Klavierquartett mit dem „Zigeunerfinale“ ist damals also in improvisierten Fassungen des Komponisten für Soloklavier erklungen. 

Wanderer durch die schöne Pfalz

Die Wanderungen, die von den Freunden unternommen wurden, hat Siegfried Kross in seiner Brahms-Biographie beschrieben. Der junge Dresdner Komponist Heinrich von Sahr, vier Jahre älter als Brahms, stieß zum Freunde-Duo hinzu. Man wanderte zunächst „die Nahe aufwärts über Sobernheim und Kirn bis nach Idar-Oberstein“. Als Clara Schumann Ende Juni in die Schweiz abreiste, hielt es auch das Komponisten-Trio nicht mehr im Nahetal: „Am 29. Juni verließen die drei Freunde Ebernburg und zogen gemeinsam diesmal nach Süden, zunächst die Alsenz hinauf, bogen dann nach Osten ab auf den Donnersberg und übernachteten an seinem Fuße in Dannenfels. Dann ging es weiter über Grünstadt nach Bad Dürkheim und Neustadt an der Weinstraße. Das Hambacher Schloss war selbstverständlich für junge Leute ein Anziehungspunkt, dann ging es zu den Burgruinen Trifels und Madenburg, in die geschichtsträchtige Pfalz. Schließlich nahm man die Eisenbahn über Landau nach Karlsruhe.“ (Siegfried Kross, Johannes Brahms, Band 1, Bonn 1997, S. 379-380).

Im Sommer 1862 hat sich Brahms also einige der schönsten Gegenden im heutigen Rheinland-Pfalz erwandert. Dabei kündeten die Burgruinen in Ebernburg, Hambach und Annweiler vom deutschen Mittelalter, der Reformation und der jüngsten Geschichte. Et­was von der ge­heim­nis­vol­len At­mo­sphä­re jenes Som­mers spricht aus dem wun­der­vol­len, im­pres­si­o­nis­tisch zar­ten Be­ginn der e-Moll-Cellosonate. Er wirkt wie ein Ein­tau­chen in ver­sun­ke­ne Zei­ten.