Bach mit Malov
Ein Bach, wie man ihn bei Villa Musica noch nicht gehört hat: Sergey Malov spielte zwei Cellosuiten auf dem Violoncello da spalla und die d-Moll-Toccata auf der Barockvioline.
300 Jahre Bach-Einsamkeit à la Sergey Malov
von Karl Böhmer
Ein Musiker, zwei Instrumente und vier der größten Werke, die Johann Sebastian Bach komponiert hat. Der Weltklasse-Geiger Sergey Malov aus St. Petersburg spielte in der Steinhalle des Mainzer Landesmuseums einen Bach, wie man ihn bei Villa Musica noch nicht gehört hat: auf der Barockvioline und dem Violoncello da spalla, einem „an der Schulter“ gespielten Cello, wie es auch Bach selbst verwendet hat. Schon mit den ersten Tönen der ersten Cellosuite wurde deutlich: Hier ist ein Virtuose am Werk, für den es technisch keine Grenzen gibt. In St. Petersburg geboren, gewann Sergey Malov den Paganini-Wettbewerb in Genua und wurde beim Bachwettbewerb in Leipzig ausgezeichnet. Paganini und Bach sind die Markenzeichen des 42-Jährigen, der den gründlichen Satz und die „Gemütsergötzung“ in Bachs Solowerken mit der Brillanz eines Paganini-Virtuosen verbindet.
Wendigkeit und Deutlichkeit sind die zwei erstaunlichen Merkmale seines Spiels: Mit der Wendigkeit des Geigers, nicht mit der profunden Klangfülle des Cellisten gab er allen Sätzen der G-Dur-Cellosuite ein neues, deutliches Gesicht. Die Allemande war so schnell und beweglich, wie man sie auf dem Cello fast nie hört, die Courante ein Spitzentanz im Spitzentempo. Die Sarabande spielte Malov ganz à la française wie ein Gambenstück von Marin Marais und die beiden Menuette so schnell, wie man es im frühen 18. Jahrhundert noch gewohnt war. In der Gigue packte er die rustikalen Seiten seiner fünf Cellosaiten so derb an, als ob er Folk Music spielte.
Seinem Programm gab er den Titel 300 Jahre Einsamkeit – in freier Anlehnung an den Roman Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel Garzía Márquez, aber ohne jeden inhaltlichen Bezug. Gemeint ist die Einsamkeit des Interpreten, der sich dem unfassbar hohen Anspruch der Bachschen Solowerke für Streichinstrumente stellen muss – ohne jede Stütze oder Begleitung, senza Basso accompagnato, wie es Bach in zweifelhaftem Italienisch auf das Autograf seiner Sei Solo a Violino geschrieben hat. Die sechs Solowerke für Violine und die sechs Cellosuiten begleiten Streichervirtuosen ihr ganzes Leben lang – in einsamer Auseinandersetzung mit dem Bachschen Genius.
In der a-Moll-Sonate für Solovioline brachte Sergey Malov alle Vorzüge seines Geigenspiels voll zur Geltung: die extreme Eleganz der Verzierungen im einleitenden Grave, den unfassbar langen Atem der Fuge, die so klar konturiert, durchhörbar und dramatisch gestaltet war, dass man nie den Faden verlor, die galant singende Zweistimmigkeit des Andante und das furiose Passagenfeuerwerk des Finales, das in keinem Takt an Energie nachließ. Eine Meisterleistung modernen, packenden Bachspiels!
Nach der Pause dauerte es leider etliche Takte, bis das Publikum akzeptieren konnte, dass der Solist nicht zu sehen, sondern nur zu hören war. Toccata und Fuge d-Moll in der Violinfassung spielte Sergey Malov kurzentschlossen von der Empore der Steinhalle herunter, weil schließlich auch die meisten Kirchenorgeln auf der Rückempore stehen. Die passionierten Geiger(innen) im Publikum versuchten trotzdem einen Blick vom Solisten zu erhaschen, legte er dieses abgedroschene Orgelwerk doch dermaßen geigerisch virtuos und hinreißend lebendig an, dass man meinte, ein völlig neues Bachstück zu hören.
In der zweiten seiner kurzen, sympathischen Moderationen ging der Züricher Geigenprofessor darauf ein, dass die herkömmlichen Cellisten nur eine der Bachschen Cellosuiten bereitwillig an ihre Kollegen auf dem Violoncello da spalla abtreten: die sechste Cellosuite. Denn Bach hat diese große D-Dur-Suite ausdrücklich für ein fünfsaitiges Instrument in jener Stimmung geschrieben, wie sie Malov verwendet. Wie man aus Köthener Inventaren weiß, wurde dort auch auf dem Violoncello da spalla musiziert, das Bach in Leipzig unter dem Namen Violoncello piccolo für seine Kirchenmusik verwendete. Auch als Viola pomposa geistert dieses Instrument durch die Bachliteratur. Spätestens jetzt, nach Malovs Interpretation mit ihren rustikalen Folklore-Anklängen, ihren majestätisch in die Höhe steigenden Melodielinien und den perlenden Laufkaskaden, wissen Bachkenner, dass diese Suite hierher gehört. Was auf dem viersaitigen Cello sonst so schwerblütig und monumental klingt, entfaltete bei Malov eine Wendigkeit und sprudelnde Beredtheit, die spontan bezauberten. Bravo, langer Applaus und als Zugabe die Gavotte en Rondeau aus der E-Dur-Violinpartita waren das Resultat dieser rundherum überzeugenden Interpretation.
Freitag, 23.5., 19 Uhr – Prot. Kirche, Steinbach am Donnersberg
Samstag, 24.5., 19 Uhr – Landesmuseum Mainz
Sonntag, 25.5., 18 Uhr – Matthiaskapelle, Kobern-Gondorf
Sergey Malov, Violine und Violoncello da spalla
Johann Sebastian Bach: Toccata und Fuge d-Moll, BWV 565
Cellosuite Nr. 1 G-Dur, BWV 1007
Solosonate für Violine Nr. 2 a-Moll, BWV 1003
Cellosuite Nr. 6 D-Dur, BWV 1012