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Der junge Cellovirtuose Luigi Boccherini aus Lucca, porträtiert von Pompeo Battoni (ca. 1767).

Mediterran: Boccherini-Menuett

Kein anderes Stück aus dem Italien der Mozart-Zeit ist so berühmt geworden wie „das“ Menuett von Boccherini - zu hören Ende Februar mit Rolands Glassl und Stipendiat*innen in Oberwesel, Zweibrücken und Meisenheim. Was hat es mit diesem Klassik-Hit auf sich?

Boccherini-Menuett für eine Gangsterbande

von Karl Böhmer

Fünf Gangster quartieren sich bei einer harmlosen alten Lady in London ein, um einen Coup zu planen: den Überfall auf einen Geldtransport an King’s Cross Station. Damit die nette Mrs Wilberforce nichts mitbekommt vom üblen Treiben, geben sich der genialische Professor Marcus und seine Spießgesellen als Musiker eines Streichquintetts aus, das auch fleißig zu üben scheint. Zumindest tönt aus dem Zimmer tagaus, tagein dieselbe süßliche Melodie: ein Menuett des Italieners Luigi Boccherini, das natürlich vom Grammophon gespielt wird, nicht von den angeblichen Musikern. Der Coup gelingt, doch in letzter Sekunde kommt Mrs Wilberforce den Gangstern auf die Schliche, als beim Abschied ein Cellokasten in ihrer Eingangstür hängen bleibt und plötzlich Geldscheine über die Straße flattern. Freilich bringen es die Räuber nicht übers Herz, die unliebsame Zeugin zu beseitigen. Stattdessen bringen sie sich auf groteske Weise selbst zur Strecke. So steht die alte Lady am Ende allein da – mit den geraubten 60.000 Pfund. Die Polizei nimmt ihr weder ihre fantastische Geschichte noch das Geld ab.

Kenner des viel gerühmten „black humour“ britischer Provenienz werden den Kinofilm längst erkannt haben, dessen Handlung hier spärlich genug zusammengefasst wurde: Ladykillers. Jene klassische „schwarze Komödie“ machte 1955 gleich zwei Briten zu Weltstars, Alec Guinness und Peter Sellers. Doch nicht nur Schauspielerkarrieren hat sie begründet. Der Film verhalf einem bis dato wenig bekannten italienischen Mozart-Zeitgenossen zur Weltgeltung: Luigi Boccherini. Seit Ladykillers ist „das“ Menuett von Boccherini ein Welthit der Klassik – wie „das“ Adagio von Albinoni (das eine Fälschung ist) oder „das“ Adagio von Barber. Mit diesen Kollegen und manch anderem Komponisten teilte Boccherini lange das Schicksal, ein „one hit wonder“ zu sein – ein Meister, den man nur mit einem „Hit“ identifiziert. In den letzten Jahrzehnten dagegen wurden immer mehr seiner Sinfonien, Cellokonzerte, Quartette und Quintette aufgeführt und eingespielt.

Boccherini: Streichquintett E-Dur, op. 11 Nr. 5

Wir nutzen die Gelegenheit, um „das“ Menuett einmal im ursprünglichen Zusammenhang vorzustellen: als Teil jenes E-Dur-Quintetts, dem es entnommen wurde. Es handelt sich um ein relativ frühes Stück von Boccherini, gedruckt 1776 in Paris als fünftes der sechs Streichquintette Opus 11. Als virtuoser Cellist bevorzugte Boccherini die Quintett-Besetzung mit zwei Celli anstelle der Wiener Besetzung mit zwei Bratschen, wie man sie bei Mozart und Beethoven, Bruckner und Brahms findet. Hört man das gesamte E-Dur-Quintett, so kann man verstehen, warum sich die Filmemacher von 1955 ausgerechnet für das Menuett entschieden haben. Die übrigen drei Sätze sind erlesene Kammermusik voller überraschender Wendungen und Klangspielereien, aber ohne eingängige Melodien. Sie jonglieren virtuos und filigran mit den Klangfarben von zwei Celli, zwei Geigen und einer Bratsche – keine Musik für das breite Publikum.

Die Wirkung des Menuetts erklären zu wollen, wäre müßig: Seine Melodie bewegt sich mit mediterraner Leichtigkeit über einem raffinierten Klanggrund aus gedämpften und gezupften Streichersaiten – Musik, wie man sie nur in der sonnigen Toskana schreiben konnte, wo Boccherini als Cellist im ersten stehenden Streichquartett der Geschichte wirkte, dem Quartetto Toscano. Auch sein E-Dur-Menuett ist ein „Menuetto Toscano“.

Ein Wort zu Boccherini

Biographisches zum Komponisten sei an dieser Stelle nachgetragen, da Boccherini in seiner wahren Bedeutung als dritter Großmeister der klassischen Kammermusik neben Haydn und Mozart immer noch nicht voll gewürdigt wird, trotz aller Einspielungen seiner hinreißenden Quintette und Sextette.

Boccherini wurde 1743 in eine Musikerfamilie im toskanischen Lucca hineingeboren. Der Vater spielte lediglich als „überzähliger Kontrabassist“ in der Kirchenmusik und war folglich arm, die Kinder waren gezwungen, sich anderswo Lohn und Brot zu suchen. Luigis ältester Bruder Giangastone wurde Librettist in Wien (für Salieri und Haydn), die Schwester Maria Ester Primaballerina (in Gluck-Balletten), eine zweite Schwester Riccarda Sängerin in Florenz. Luigi wählte als Jüngster das Cello und die Laufbahn des reisenden Virtuosen. Mit 13 Jahren gab er sein Konzert-Debüt, wobei seine Brillanz ebenso bewundert wurde wie seine Cellokonzerte, die er „in einem völlig neuen Stil” geschrieben hatte. Aus dem Wien Glucks, wo er sich um 1760 für längere Zeit aufhielt, drängte ihn die Cellisten-Konkurrenz heraus, in den italienischen Metropolen wie Rom oder Genua war ebenso wenig Staat zu machen. Also zog er sich auf die Kammermusik zurück: im besagten Quartetto Toscano, mit dem er Musikgeschichte schrieb.

Um 1770 machte er sich auf nach Paris, wo er freilich nie ankommen sollte: Mit seinem Geigerfreund Manfredi bog er von Südfrankreich nach Spanien ab. Dort fanden sie am Hof des Infanten Don Luis Lohn und Brot. Wie für Schillers Don Carlos begannen nun „die schönen Tage von Aranjuez“, in denen Boccherini allmählich zu einer europäischen Berühmtheit heranreifte.

Mit 23 komponierte er sein erstes Streichquartett, mit 26 seine erste Sinfonie. Er wurde zum ersten europäischen Komponisten, dem man Unsummen für Kammermusik bezahlte. So flossen 12.000 spanische Realos pro Jahr aus Madrid für ganze 18 Streichquintette, die er zu komponieren hatte, 1.000 Taler aus Berlin vom Preußenkönig Friedrich Wilhelm II. für zwölf Kammermusiken jährlich. Ein Mozart hätte von solchen Summen nur träumen können. Boccherini musizierte mit Casanova und stand mit Haydn im Briefverkehr. Virtuosen wie Viotti und Rode liebten seine Werke, und die Verleger verkauften sie in Rekordauflagen.

All dies änderte sich schlagartig nach seinem Tod, als die heroische Epoche Napoleons über seine spielerischen Klangexperimente hinwegging. Was übrig blieb, waren minimale Ausschnitte von zweifelhafter Berühmtheit: jenes Menuett aus dem E-Dur-Streichquintett, op. 11,5, das ein Verleger schon 1874 aufs Schild der „Klassikhits“ hob; eine Sinfonia divina, die 1934 aus seinen besten Sinfoniesätzen zusammengestellt wurde, schließlich ein ebenso beliebtes Quintett-Pasticcio in C und ein Cellokonzert im Grützmacher-Arrangement. Erst moderne Editionen und historisch genauere Interpreten haben diese rudimentäre Sicht auf Boccherini einer neuen Entdeckerfreude weichen lassen.

Boccherinis Musik ist ein Laboratorium des Klangs, in dem sich Fenster zum Spanien und Italien seiner Zeit auftun. Er hat den Belcanto seiner Heimat ebenso aufgegriffen wie die reiche Folklor seiner Wahlheimat Spanien. Dennoch blieb Boccherini mit seinen in Paris verlegten und in ganz Europa nachgedruckten Werken jenem gesamteuropäischen Stil treu, den wir einschränkend die „Wiener Klassik“ nennen. Seine Musik vertritt jedoch gegenüber der motivisch-thematischen Arbeit Haydns und Mozarts oder, wie die Zeitgenossen gesagt hätten, der „deutschen Gründlichkeit” eher die Gesanglichkeit und die Klangfantasie des Südens.