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Das Altarbild der Leipziger Nikolaikirche zeigt die Auferstehung Jesu in der Bildsprache des Klassizismus, gemalt nach 1785 vom Leipziger Akademiedirektor Adam Friedrich Oeser. Der Friedensengel in der Mitte des Gewölbes stammt von seinem Schüler Hans Veit Schnorr von Carolsfeld (Foto: fotocommunity Herdiss).

Ostern mit der Bachfamilie

Wenn die Bachfamilie Ostern feierte, bebten in Eisenach, Leipzig und Hamburg die Kirchenbänke. Eine kleine Reise durch den Bachschen Osterjubel.

Eisenach bebt

Den frommen Eisenachern saß der Schrecken in den Gliedern: Im Ostergottesdienst anno 1672 hatte der neue „Haußmann“, sprich: der Leiter der Stadtmusik, einen so brachialen Osterjubel angestimmt, dass die Kirchenbänke bebten. Der Zimmermann Dressel Repro hielt den Moment in seiner Stadtchronik fest (im Original in noch barockerer Rechtschreibung):

1672 hat der neue Haußmann auf Ostern mit Orgel, Geigen, Zinken und Trompeten und mit Heerpauken dareingeschlagen, daß noch kein Cantor und Haußmann, weil Eisenach gestanden, nicht geschehen.

Der Name des Musikers war Johann Ambrosius Bach, er war ein vorzüglicher Geiger und Virtuose auf diversen Instrumenten, und er liebte es, mit dem Chorus musicus und den Stadtmusikanten auf der Empore der Georgenkirche laut zu musizieren - zur Ehre des Allerhöchsten. Erst dreizehn Jahre später erblickte sein jüngster Sohn Johann Sebastian das Licht der Welt, doch die Lust am markerschütternden Osterjubel hat sich in der Bachfamilie weitervererbt – nicht nur auf ihn.

Leipzig jubelt

Das musste der Thomaskantor seinen Musikern nicht zwei Mal sagen: „Das hohe D bitte deutlich und strahlend!“ Prompt ließen sein Solotrompeter Reiche und sein erster Oboist Gleditsch ihre hohen D's um die Wette glänzen, dass es eine wahre Pracht war. Unten im Schiff der Leipziger Nikolaikirche sperrte man verwundert die Ohren auf. Drei Trompeten und Pauken, zwei Oboen und Fagott stritten auf der Empore um den prachtvollsten Osterjubel: Fanfaren für den auferstandenen Herrn. Danach spielte Gleditsch ein wundervolles Oboensolo über einem schmerzlich bewegten Streichermotiv: die trauernden Frauen auf dem Weg zum Grab. Schließlich traten Bachs Solotenor und Bass an die Rampe. Auch sie hatten einen Wettstreit auszufechten: den Wettlauf des Johannes und Petrus zum offenen Grab. „Kommt, fliehet und eilet, ihr flüchtigen Füße, erreichet die Höhle, die Jesum bedeckt.“ So hieß es noch anno 1725 bei der Uraufführung des Osteroratoriums. Was heute meist als vierstimmiger Eingangschor zu dem Text „Kommt, eilet und laufet“ gesungen wird, war bei der Uraufführung noch ein Duett, wie in fast allen Aufführungen unter Bachs Leitung. Ausnahmsweise wollte der Thomaskantor einmal ganz szenisch sein und das Osterevangelium im Sinne eines Drama per musica auf die Rollen der Jünger und Frauen verteilen, die sich am Ostermorgen zum Grab aufmachten.

Deshalb traten nach dem eiligen Duett der Jünger ein Knabensopran und ein Altist der Thomaner an die Rampe und sangen: „O kalter Männer Sinn! Wo ist die Liebe hin, die ihr dem Heiland schuldig seid? Ein schwaches Weib muß euch beschämen?“ Maria Jacobi und Maria Magdalena rügen Johannes und Petrus für ihr ungebührliches Wettrennen zum Grab, denn noch beherrscht die Trauer das Gemüt der beiden Frauen. Die Traversflöte erhebt ihren zarten Klang zu einem wundervollen Solo in h-Moll. In geschmeidigen Linien umschreibt sie gemeinsam mit dem Sopran die Spezereien, die für den verstorbenen Heiland bereitet wurden. Diese Myrrhen sollen nun zum Lorbeerkranz für den Auferstandenen werden, doch noch ahnen die Glaubenszeugen die Auferstehung mehr, als dass sie ihnen begreiflich würde.

Endlich erkennt Petrus im abgelegten und gefalteten Schweißtuch Jesu das Unterpfand des Heils: „Sanfte soll mein Todeskummer nur ein Schlummer, Jesu, durch dein Schweißtuch sein.“ Wer sich jemals über die seltsame Poesie dieser Arie gewundert hat und über ihre pastoralen Klänge aus wiegenden Terzen der Blockflöten und gedämpften Streichern, muss wissen, dass sie wie das gesamte Osteroratorium auf eine Schäferkantate zum Geburtstag des Herzogs von Sachsen-Weißenfels zurückgeht. Bach hob dieses aufwendige Werk im Februar 1725 in Schloss Weißenstein aus der Taufe und beschloss, es für Leipzig in ein Drama per musica zum Osterfest umzuwandeln. Daher rührt die Kürze der Rezitativ-Dialoge und die exzessive Länge der Da Capo-Arien - eine höfische Musik auf dem neuesten Stand. Daraus erklärt sich auch der quasi szenische Dialog zwischen den beiden Jüngern und den beiden Frauen am Grab, die wenige Wochen zuvor noch Doris und Sylvia, Menalcas und Damœtas hießen.

Maria Magdalena alias Sylvia tritt vor und wünscht sich nichts sehnsüchtiger, als den Heiland wiederzusehen. Er wird ihr bald erscheinen, doch zum „Noli me tangere“ kommt es nicht. In Bachs Osteroratorium bleibt alles Andeutung. Kein Zuviel verletzt den Abstand zum unbegreiflichen Osterereignis. In lakonischer Kürze verkündet am Ende der Bassist als Johannes: „Nun sinnt auf Freudenlieder, denn unser Heiland lebet wieder!“ Im Quartett stimmten die vier Sänger den Osterjubel an: „Preis und Dank bleibe, Herr, dein Lobgesang“, ein deutsches Oster-Halleluja. Bach hat keinen kürzeren Jubelchor geschrieben, keinen anderen, der in so wenigen Takten die ganze Freude über die Auferstehung in laute Jubelklänge fasst. Wieder einmal hatte ein Bach mit seinen Osterklängen „dareingeschlagen“, dass es der Gemeinde durch Mark und Adern fuhr.

Judäa zittert

Noch 1778 fand der Osterjubel der Bachfamilie in Hamburg einen späten Nachhall. Carl Philipp Emanuel Bach beschrieb den unbegreiflichen Moment der Auferstehung Jesu mit dem Donnergrollen der Pauke: „Judäa zittert, seine Berge beben ... Der Herr der Erde steigt empor aus ihrem Schoß, tritt auf den Fels, und zeigt der staunenden Natur sein Leben.“ Anders als sein Vater und sein Großvater scheute der Prophet der empfindsamen Zeit nicht davor zurück, den Auferstandenen selbst zu zeigen, wie er als Held aus dem Grabe aufsteigt, in einem großen, beschreibenden Rezitativ mit „malendem“ Orchester. Diese schon Haydnsche Ästhetik wäre für die älteren Bachs nicht in Frage gekommen.

Carl Philipps große Osterkantate war ein Werk zur bürgerlichen Besinnung, keine Vergegenwärtigung des Glaubens im Gottesdienst. Es wurde am 13. März 1778 im Hamburger Konzertsaal auf der Kamp uraufgeführt und noch 1788 von Mozart in Wien als Oratorium für ein Konzertpublikum dirigiert. Inhaltlich schlägt es den großen Bogen frommer Betrachtung vom Ostersonntag über Emmaus bis hin zur Himmelfahrt Jesu. Der Textdicher dieser Kantate hatte noch zehn Jahre zu leben, als Carl Philipp Emanuel Bach 1788 in Hamburg starb. An der Berliner Sophienkirche erinnert ein schilchtes Epitaph an Carl Wilhelm Ramler, gestorben 1798 und berühmt geworden durch seine Dichtung zu Grauns Der Tod Jesu. Sein Libretto über Auferstehung und Himmelfahrt Jesu bildete dazu die Fortsetzung – noch bildstärker in den Naturschilderungen, noch empfinsamer im Wortausdruck. Besinnlichkeit statt gläubiger Vergegenwärtigung, poetische Umschreibung statt des Jubels am Ostersonntag, Fastenzeit-Frömmigkeit statt des unmittelbar gelebten Glaubens in der Liturgie. Die Zeiten hatten sich gewandelt. Geblieben war der Osterjubel der Bachfamilie. Nach dem Karfreitagsvorspiel, dem sanften Eingangschor und der Auferstehungsszene für den Solobass durfte endlich im Chor der Osterjubel losbrechen: „Triumph, ein Chor von Engeln fliegt mit lautem Jubel durch die Luft.“ Von wem Bachs Zweitältester diese Jubelklänge wohl gelernt hatte? (Karl Böhmer)

Zum Hören und Schauen:

Johann Sebastian Bach: Osteroratorium, BWV 249; Monteverdi Choir, English Baroque Soloists, Leitung: John Eliot Gardiner (BBC Proms 2013)

https://www.youtube.com/watch?v=a5ICH1gK5fQ

Carl Philipp Emanuel Bach: Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu; Ex Tempore Chor; La Petite Bande; Leitung: Sigiswald Kuijken (Nikolaikirche Leipzig, Bachfest 2004)

https://www.youtube.com/watch?v=QO7cBebDrXA