Die Hauptkirche St. Petri hatte anno 1774 den Vortritt: Hier erklang die Auferstehung des Hamburger Bach im Ostergottesdienst, noch ohne Emmaus und die Himmelfahrt Jesu (Foto: Wikipedia).

Karsamstag in Hamburg

Die Auferstehung von Carl Philipp Emanuel Bach wurde am Karsamstag 1774 in St. Petri zu Hamburg aus der Taufe gehoben: eine markerschütternde Ostermusik. 

Judäa zittert, seine Berge beben

Dieser Klang dürfte die hartgesottenen Hamburger Kaufleute bis ins Mark erschüttert haben: Über dem Donnergrollen der Pauke erhebt sich ein wahres Erdbeben der Streicher, um das größte Geheimnis des Glaubens ohne Umschweife darzustellen: die Auferstehung Jesu als Aufruhr der Natur. Dazu deklamiert der Bass im Duktus eines wild bewegten Rezitativs:

„Judäa zittert! Seine Berge beben! Der Jordan flieht den Strand! – Was zitterst du, Judäens Land? Ihr Berge, warum bebt ihr so? Was war dir, Jordan, dass dein Strom zurückefloh? Der Herr der Erde steigt empor aus ihrem Schoß, tritt auf den Fels, und zeigt der staunenden Natur sein Leben.“

Schon die pathetischen Fragen und die vielen Ausrufezeichen lassen erkennen, dass man es mit einem Text des empfindsamen Zeitalters zu tun hat. Der Berliner Dichter Karl Wilhelm Ramler schrieb seine Kantate Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu 1760 als Fortsetzung seines Oratoriums Der Tod Jesu. Die Hamburger kannten diese Verse schon aus der Vertonung ihres langjährigen Musikdirektors Telemann. Nun hatte dessen Nachfolger und Patensohn Carl Philipp Emanuel Bach den Ramlerschen Text in neue, avantgardistische Töne gekleidet. Der „Hamburger Bach“, das „Originalgenie“ unter den Bachsöhnen, wurde seinem Ruf wieder einmal gerecht.

Carl Philipp Emanuel Bach: „Judäa zittert, seine Berge beben“, Peter Harvey, Orchestra of the Age of Enlightenment 

https://www.youtube.com/watch?v=Ol7updtG0sY

Hamburger Ostervesper am Karsamstag

Man schrieb den 2. April 1774. Die Hamburger hatten sich zur Vesper der Osternacht in St. Petri eingefunden und erwarteten eine fromme Einstimmung auf das Osterfest. Genau so hatte die Kantate auch begonnen: mit einem Eingangschor im sanft plätschernden D-Dur des reinen galanten Stils:

„Gott, du wirst seine Seele nicht in der Hölle lassen, und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe."

Der Hamburger Bach kleidete diesen Vers aus dem 16. Psalm in eine weich fließende Melodie, beinahe wie Händel im Messias („For thou shallst not leave his soul in hell“). Doch gleich danach brach das Pandämonium der Klänge los: die Auferstehung als filmisches Orchesterdrama! Der Cherub Michael fährt nieder und wälzt den Stein des Grabes weg. Die römischen Soldaten, zur Bewachung abgestellt, stürzen „erblasst auf ihre Schilde“ und fliehen, den Schrecken im Gesicht. Die Tonmalereien greifen auf die folgende c-Moll-Arie über. Der Gläubige besingt, halb verzückt und halb erschüttert, die Majestät des Auferstanden zu punktierten Rhythmen der Streicher und wild dreinfahrenden Horntönen:

„Mein Geist voll Furcht und Freude bebet! Der Fels zerspringt! Die Nacht wird lichte! Seht, wie er auf den Lüften schwebet! Seht, wie von seinem Angesichte die Glorie der Gottheit strahlt!“

Doch das Beben der Auferstehungsfreude wird von Tönen der Trauer unterbrochen: Der Gläubige erinnert sich an das Leiden Christi, ein Arioso im typischen Duktus eines rührenden Carl-Philipp-Adagios:

„Rang Jesus nicht mit tausend Schmerzen? Empfing sein Gott nicht seine Seele? Floss nicht sein Blut aus seinem Herzen? Hat nicht der Held in dieser Höhle der Erde seine Schuld bezahlt?“

Die atemlose Auferstehungsszene gipfelt im Triumphchor der Gläubigen, den Bach noch zwei Mal im Laufe des Oratoriums wiederholt hat:

„Triumph! Triumph! des Herrn Gesalbter sieget! Er steigt aus seiner Felsengruft. Triumph! Triumph! Ein Chor von Engeln flieget mit lautem Jubel durch die Luft.“

Was wohl Vater Bach zu diesem Anfang gesagt hätte? Nie hätte er die Auferstehung Jesu in ein Heldendrama im Opernstil verwandelt. Immer hat er in seinen Osterstücken die Distanz zum Glaubensgeheimnis gewahrt – durch Choräle, durch theologische Deutung und Überhöhung im Kontrapunkt. So direkt, so emotional, so ungebremst empfindsam wäre ihm das größte Geheimnis des Glaubens nicht aufs Notenpapier geflossen. Doch sein zweitältester Sohn war das Kind einer anderen Zeit. In seinen Tönen zeigte er den Hamburgern den Auferstandenen selbst – als Helden und Sieger über den Tod wie auf den triumphalen Auferstehungsgemälden des späten 18. Jahrhunderts. Ramlers Verse holten das größte Geheimnis der Heilsgeschichte ins Hier und Heute einer Triumphszene voller Ausrufezeichen und Verzückungsvokabular – genau die richtige Vorlage, um das Originalgenie des Hamburger Bach zu beflügeln.

„Mein Geist voll Furcht und Freude bebet!“ Stephen Varcoe, Bass; Das kleine Konzert, Hermann Max

https://www.youtube.com/watch?v=jLSOhVirh9s

Auferstehung und Himmelfahrt Jesu

Der Bachforscher Ulrich Leisinger hat anhand von Briefen und anderen Dokumenten plausibel gemacht, dass Bachs nachmals berühmtestes Oratorium am Karsamstag 1774 in St. Petri zuerst erklungen ist, freilich nur der erste Teil, Die Auferstehung, als Ostermusik im Gottesdienst der Hamburger Hauptkirchen. Erst 1778/79 kam es zu drei  Aufführungen der vollständigen Kantate in Hamburger Konzertsälen. Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu spannt einen Bogen von der Osternacht in Jerusalem bis zum Ostermontag in Emmaus, von den Frauen am leeren Grab bis zum ungläubigen Thomas, vom Triumph der Auferstehung bis zur Heimkehr Jesu in der Himmelfahrt. Ein solches Werk war liturgisch nur in Auszügen zu gebrauchen. Als Ganzes war es eine Andachtsmusik für den Konzertsaal.

Mozart dirigiert Carl Philipp Emanuel Bach

Als Fasten-Oratorium für ein Konzertpublikum erfreute sich Bachs Auferstehung und Himmelfahrt einiger Beliebtheit, besonders seit bei Breitkopf & Härtel 1787 die gedruckte Partitur erschienen war. An dieser orientierte sich auch Mozart, als er 1788 in Wien drei Aufführungen des Werkes dirigierte: zunächst am dritten und vierten Dienstag der Fastenzeit im Palais des Grafen Johann Esterházy, dann zwei Wochen vor Karfreitag im Hofburgtheater, der damaligen Wiener Hofoper. Die Besetzung der drei Aufführungen war gewaltig: „ein Orchester von 86 Personen und 30 Choristen“. Die Solopartien wurden nicht von biederen Kirchensängern vorgetragen wie in Hamburg, sondern von den Sängern der Wiener Hofoper: Mozarts Schwägerin Aloysia Lange übernahm den Sopran-Part. Die Solopartien der Männer wurden von Valentin Adamberger, Mozarts erstem Belmonte, und vom Bassisten Ignaz Saal übernommen. Die drei Wiener Aufführungen berührten das Publikum zutiefst. Ein Porträt des gerade 74 gewordenen Komponisten wurde im Saal herumgereicht. Niemand konnte ahnen, dass Carl Philipp Emanuel Bach noch im selben Jahr, am 14. Dezember 1788 in Hamburg sterben sollte. 

Von Jerusalem nach Emmaus

Neben der Auferstehungsszene ist das wohl bewegendste Orchesterrezitativ in Bachs Kantate die Schilderung von Emmaus: Auf dem Weg aus der Stadt begegnen zwei Jünger Jesum, ohne ihn zu erkennen. Sie stehen noch ganz unter dem Eindruck der Passion, deren Sinn sie nicht begreifen können. Doch der Unbekannte setzt ihnen den Sinn der Schrift so auseinander, dass ihnen die Augen aufgehen. Just als sie Jesus am Brechen des Brotes erkennen, verschwindet er. DIeses Evangelium des Ostermontags liest sich in Ramlers Versen so:

„Die Rede heilt der Freunde Schmerz, mit Liebe wird ihr Herz zu diesem Gast entzündet. Sie lagern sich. Er bricht das Brot und saget Dank; der Nebel fällt, sie sehn ihn, er verschwindet.“

Die beiden Jünger mit Jesus im Freundschaftskult der Aufklärung vereint, das jähe Verschwinden des Meisters – für Bachs Musik des fließenden Übergangs und der „Herzenstöne“ eine ideale Vorlage. Entscheidend für Carl Philipp Emanuel Bach war nicht das „Bleib bei uns, denn es will Abend werden“, wie es sein Vater in einer seiner schönsten Osterkantaten vertont hatte, sondern die unmittelbare Emotion, das Begreifen der Heilsgeschichte als Zuwendung des Menschensohns zu seinen Freunden. Der Karfreitag wird in Form einer großen Rückblende in dieses lange Rezitativ hineingenommen. So konnte der Hamburger Bach alle Dissonanz-Geheimnisse seiner Kompositionskunst auf das Nachzeichnen des Leidens Christi verwenden. Dass diese Szene in eine riesige Bassarie mit virtuosem Solofagott und Streichern mündet, mutet für unsere Ohren kurios an – ein Zugeständnis an die Konvention der Aria concertata. Zeitgebundenes und Zeitloses liegen in diesem ganz besonderen Oster-Oratorium nahe beieinander.

(Karl Böhmer)

Das gesamte Oratorium im Video:

Carl Philipp Emanuel Bach: Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu; Ex Tempore Chor; La Petite Bande; Leitung: Sigiswald Kuijken (Nikolaikirche Leipzig, Bachfest 2004)

https://www.youtube.com/watch?v=QO7cBebDrXA