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Standing Ovation für eine fantastische Judith: Annemarie Pfahler bezauberte das RheinVokal-Publikum in Neuwied. Rechts Christian Rathgeber (Holofernes) und Christian Rohrbach (Amme, Leitung). (Foto: Robert Pfeifruk).

Judith bei RheinVokal

Unsere Festaufführung zum 300. Todestag von Alessandro Scarlatti war eine Eigenproduktion von RheinVokal: das dramatische Oratorium La Giuditta von 1697 in der Herrnhuter Brüdergemeine zu Neuwied.

Scarlattis Giuditta in Neuwied

von Karl Böhmer

Vor 300 Jahren, am 22. Oktober 1725, starb in Neapel der größte italienische Vokalkomponist der Händel-Zeit: Alessandro Scarlatti. Trotz seiner überragenden Bedeutung als Meister der Oper und des Oratoriums, der Kantate und der Kirchenmusik ist es um den Maestro aus Palermo, der in Rom aufwuchs und in Neapel zu Weltruhm gelangte, in seinem Gedenkjahr merkwürdig still geblieben. Nur das Festival RheinVokal 2025 hatte sich Scarlatti gleich drei Mal auf die Fahnen geschrieben: mit der feierlichen Messa di S. Cecilia von 1720 beim Eröffnungskonzert in Maria Laach, mit einer römischen Kantate von 1699 in Boppard-Herschwiesen und mit dem Oratorium La Giuditta a 3 von 1697 in der Herrnhuter Brüdergemeine in Neuwied. Am Ende dieser Oratorienaufführung waren alle von Scarlatti restlos begeistert, fasziniert und überzeugt – dank der überragenden Hauptdarstellerin Annemarie Pfahler, dank der fantastischen Männerstimmen und des exzellent aufspielenden BaroqueLAB aus Frankfurt. Dass sich noch 30 Zuhörerinnen und Zuhörer mehr an die Abendkasse drängten und der voll besetzte Saal am Ende zu Standing Ovations überging, war ein wunderbarer Beweis dafür, dass Scarlattis Musik ihren Zauber auch nach 300 Jahren noch voll entfalten kann – vorausgesetzt, sie wird so vollendet ausgeführt wie an diesem Abend.

Scarlatti auf den Punkt gebracht

Wer wissen will, wie schwierig es ist, ein solches Scarlatti-Oratorium zum dramatischen Leben zu erwecken, muss nur in die CD-Listen schauen: Von ehemals zwei Einspielungen ist gerade mal eine noch erhältlich, und keine von beiden hatte das Niveau der Neuwieder Aufführung. Dies lag zu allererst an Christian Rohrbach, der zwar als Dirigent im Konzert nicht in Erscheinung treten durfte, sondern als Sänger der Nutrice in der Reihe der drei Solisten stand. Dennoch war an seiner Gestik unschwer abzulesen, wer der Spiritus rector dieser Aufführung war: Christian Rohrbach hatte diese Giuditta (die kleinere der beiden Vertonungen desselben Stoffes durch Alessandro Scarlatti) bereits 2017 am Staatstheater Wiesbaden in einer gefeierten szenischen Produktion dirigiert. Für die konzertante Neuauflage beim Festival RheinVokal hatte er sich wieder den mittlerweile gereiften, stimmlich prachtvoll agierenden Tenor Christian Rathgeber als Holofernes gesichert. Und er hatte das neue Barockorchester BaroqueLAB Frankfurt zur Zusammenarbeit eingeladen. Aus drei intensiven Probentagen in Frankfurt ging eine so blitzblanke, perfekt intonierte Aufführung im satten Tuttiklang der Streicher hervor, wie man sie in diesem Oratorium bis dato noch nicht gehört hatte. Swingende Tanzarien, furiose Streichersinfonien, betörende Ritornelle und zwei fantastische Soli der Konzertmeisterin Rebecca Raimondi (ursprünglich für Corelli geschrieben) stellten dem jungen Orchester das beste Zeugnis aus. Auch die Continuogruppe rund um den Cellisten Johannes Berger spielten ihren Scarlatti auf den Punkt genau – ein perfekter Widerpart zu den großartig agierenden Sängern.

Eine junge Judith erobert die Herzen

Von „Agieren“ durfte man getrost sprechen, sobald die junge Sopranistin Annemarie Pfahler aus Hannover vors Orchester trat. Sie hatte ihren gesamten Part für diese eine Aufführung auswendig gelernt und stand so souverän im Mittelpunkt, als hätte sie diese Judith schon 20 Mal auf der Bühne gegeben. Sie bezirzte und drohte, schmachtete und klagte in allen Nuancen der Scarlattischen Musik mit so betörend schöner Stimme, dass die Zuhörer*innen dahinschmolzen. Am Ende aber, in der Szene der Enthauptung des grausamen Tyrannen, schwang sie sich zur vollen Dramatik auf – auch ohne Schwert in der einen und abgeschlagenes Haupt in der andern Hand. Diese Darstellung ging unter die Haut und war für die zahllosen Bravos am Ende am allermeisten verantwortlich. Ab der nächsten Spielzeit wird die junge Sopranistin dem Ensemble des Gärtnerplatztheaters in München angehören.

Zwei unvergessliche Arien

Wollte man aus dem Abend die beiden unvergesslichen Momente herausgreifen, so waren es natürlich die beiden größten Arien: Giudittas „Ombre voi“ (geborgt aus Scarlattis Serenata a Fillide) als nachdenklicher Epilog über einem magischen Basso osinato und die große Schlafarie der Amme, die Christian Rohrbach zum Streicherklangteppich des Orchesters hinreißend schön sang. Den Inhalt dieser berühmten Arie könnte man heutzutage auch ganz anders verstehen, als er im Libretto von Antonio Ottoboni gemeint ist: „Dormi, o fulmine di guerra!" „Komm endlich zur Ruhe, Blitzstrahl des Krieges!“ – eine Botschaft auch über diesen wunderschönen Scarlatti-Abend hinaus.

Sonntag, 3.8., 17 Uhr – Herrnhuter Brüdergemeine Neuwied
Alessandro Scarlatti: La Giuditta à 3 (Oratorium, Rom 1697)

Gesangssolisten:

Giuditta: Annemarie Pfahler | Sopran
Oloferne: Christian Rathgeber | Tenor
Nutrice: Christian Rohrbach | Altus

BaroqueLAB Frankfurt

Violine 1 Rebecca Raimondi (Konzertmeisterin)
Emanuele Breda
Rodrigo Aros
Violine 2 Swaantje Kaiser
Anna Kaiser
Xin Wei
Viola Joaquín Reyes Bórquez
Maider Díaz de Greñu
Violoncello Johannes Berger
Kontrabass Kinnon Church
Theorbe Vanessa Heinisch
Continuo Kadra Dreizehnter

Einstudierung: Christian Rohrbach